Leitsatz
Hebt die Familienkasse festgesetztes Kindergeld auf, das an einen Sozialleistungsträger ausgezahlt wurde, so ist Letzterer klagebefugt.
Normenkette
§ 40 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der wegen geistiger Behinderung zu 100 % erwerbsunfähige Sohn der Beigeladenen (Eltern) ist in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht. Der Kläger (Sozialleistungsträger) trägt die daraus entstehenden Kosten. Nicht die Eltern, sondern dieser wandte sich dagegen, dass die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung aufhob. Das FG hatte die Klagebefugnis des Sozialleistungsträgers zwar bejaht, die Klage aber aus den Gründen des BFH-Urteils III R 13/94 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil der Vorinstanz auf und gab der Klage statt. Die Klagebefugnis des Klägers sei zu bejahen. Die Klage sei auch begründet. Mangels hinreichender Bezüge sei der Sohn außer Stande, sich selbst zu unterhalten.
Hinweis
1. Nachdem der BFH mit Urteil vom 14.6.1996, III R 13/94, BStBl 1997, 173 zum Kinderfreibetrag entschieden hatte, dass Unterhaltsbeiträge (u.a. Eingliederungshilfe) eines Sozialhilfeträgers als eigene Bezüge des Kindes anzusetzen und behinderte Kinder deshalb regelmäßig nicht außer Stande seien, sich selbst zu unterhalten, hatten die Familienkassen auch beim Kindergeld die einschlägigen Festsetzungen aufgehoben. Dies hatte u.a. zur Folge, dass Kindergeld für stationär untergebrachte behinderte Kinder nicht mehr an Sozialleistungsträger (Städte, Kommunen, Wohlfahrtsverbände) ausgezahlt (abgezweigt) werden konnte.
2. Insbesondere in den Grundsatzurteilen vom 15.10.1999, VI R 40/98, BStBl II 2000, 75 und VI R 182/98, BStBl II 2000, 179 hat nunmehr der zuständige VI. Senat des BFH entschieden, dass nach der Systemumstellung ab 1.1.1996 volljährige behinderte Kinder regelmäßig auch dann i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG außer Stande seien, sich selbst zu unterhalten, wenn sie u.a. im Rahmen der Eingliederungshilfe vollstationär untergebracht sind.
3. Zahlreiche FGs hatten eine Klagebefugnis der Sozialleistungsträger im Kindergeld-Festsetzungsverfahren verneint. Dieser Ansicht ist der BFH nicht gefolgt. Zwar ist auch im Kindergeldrecht zwischen dem Festsetzungsverfahren (Kindergeldbescheid) und dem Erhebungsverfahren (Auszahlung des Kindergelds) zu unterscheiden. Nach § 67 Satz 2 EStG kann aber außer dem Kindergeldberechtigten auch derjenige einen Antrag (auf Festsetzung des Kindergelds) stellen, der ein berechtigtes Interesse an der Leistung (Auszahlung bzw. Abzweigung) des Kindergelds hat. Hieraus ergibt sich folglich eine Klagebefugnis (Einspruchsbefugnis) der Sozialleistungsträger. Durch § 67 Satz 2 EStG erlangen (potenzielle) Leistungsempfänger eine Beteiligtenstellung (vgl. § 78 Nr. 1 AO) im Festsetzungsverfahren.
4. Beachten Sie, dass im Besprechungsurteil nur der Bescheid kassiert werden konnte, mit dem die Familienkasse die bisherige Kindergeldfestsetzung aufgehoben hatte. Die Folge davon ist, dass der ursprüngliche (bestandskräftige) Kindergeldbescheid (nebst der anderweitigen Auszahlung an den Sozialleistungsträger) wieder auflebte bzw. in Kraft trat.
5. Darüber, ob die (bisherige) Auszahlung (Abzweigung) des Kindergelds materiell-rechtlich in voller Höhe gerechtfertigt war, konnte der BFH auf Grund dieser verfahrensrechtlichen Situation nicht entscheiden. In Konsequenz der beiden BFH-Urteile VI R 40/98 und VI R 182/98 lässt sich mit guten Gründen die Ansicht vertreten, dass eine Abzweigung des Kindergelds an einen Sozialleistungsträger nur zum Teil (ggf. in pauschalierender Weise) gerechtfertigt ist. Beispielsweise könnten Eltern eines behinderten Kindes vorbringen, dass nicht nur der Sozialleistungsträger, sondern auch sie Unterhalt geleistet hätten und dass deshalb das Kindergeld nur teilweise abgezweigt werden dürfe (vgl. auch Greite in Korn, § 74 EStG Rz. 13 a.E.). Über eine Aufteilung des Kindergelds (Anspruchskonkurrenz zwischen mehreren Unterhaltszahlern) könnte indessen – ggf. auf Antrag der Eltern – nur mittels einer neuen Ermessensentscheidung der Familienkasse entschieden werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.1.2001, VI R 181/97