Leitsatz
Auszahlungen an die Mitglieder einer Genossenschaft infolge der Herabsetzung des Geschäftsanteilswerts sind eine "Leistung" im Sinne von § 38 Abs. 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes, die zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen kann.
Normenkette
§ 38 Abs. 1 und 2 KStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. c KStG von der KSt befreite eingetragene Genossenschaft, die als Molkerei Milch und Milchprodukte vermarktet. An ihr waren im Streitjahr etwa … Landwirte beteiligt, die in Abhängigkeit von der gelieferten Menge Genossenschaftsanteile gezeichnet hatten. Die Anzahl der zu zeichnenden Genossenschaftsanteile wurde in einem 3‐Jahres-Rhythmus an die vom Landwirt gelieferten Mengen angepasst. Mit Schreiben vom 29.7.2008 hatte die Klägerin einen Antrag zur Weiteranwendung des § 38 KStG in der am 27.12.2007 geltenden Fassung gestellt. Dadurch kam es bei ihr nicht zu einer ausschüttungsunabhängigen Festsetzung des KSt-Erhöhungsbetrags gemäß § 38 Abs. 5 und 6 KStG i.d.F. des JStG 2008.
Die Generalversammlung der Klägerin beschloss am xx.xx.2017 im Wege der Satzungsänderung die Herabsetzung des Werts je Geschäftsanteil der Genossenschaftsmitglieder von 75 EUR auf 1 EUR. Die Eintragung ins Genossenschaftsregister erfolgte am xx.xx.2017. Der Gesamtbetrag der Herabsetzung des Geschäftsanteilswerts betrug … EUR und wurde zum 31.12.2017 als Verbindlichkeit gegenüber den Genossenschaftsmitgliedern in der Bilanz der Klägerin erfasst. Im März 2018 erfolgte nach Ablauf der sechsmonatigen Gläubigerschutzfrist nach § 22 Abs. 2 GenG die tatsächliche Auszahlung der Herabsetzungsbeträge an die Genossenschaftsmitglieder. Dabei entfielen … EUR auf die zum 31.12.2017 ausgeschiedenen und … EUR auf die in der Genossenschaft verbliebenen Mitglieder.
Das FA stellte unter anderem den Bestand des sog. EK 02 zum 31.12.2017 mit … EUR fest. Im Zuge einer Außenprüfung ging das FA davon aus, dass die Auszahlung an die Genossenschaftsmitglieder eine Leistung darstelle, die mit Wirkung im Auszahlungsjahr eine KSt-Erhöhung gemäß § 38 Abs. 1 und 2 KStG auslöst. Den Betrag der KSt-Erhöhung setzte das FA mit 452.870 EUR an. Dieser Berechnung lag unter anderem ein ausschüttbarer Gewinn von … EUR, ein auf die zum 31.12.2017 verbliebenen Genossenschaftsmitglieder entfallender Herabsetzungsbetrag von … EUR, der Bestand des EK 02 und der sich aus § 38 Abs. 2 KStG ergebende Faktor von 3/7 zugrunde (…). Den verbleibenden Bestand des EK 02 stellte das FA mit … EUR fest. Schließlich setzte es die KSt für das Streitjahr auf … EUR fest.
Gegen die gemäß § 164 Abs. 2 AO ergangenen Änderungsbescheide vom 24.2.2020 erhob die Klägerin mit Zustimmung des FA Sprungklage (§ 45 FGO) zum FG, welches der Klage stattgab (FG Nürnberg, Urteil vom 23.3.2021, 1 K 382/20, Haufe-Index 15117162, EFG 2022, 1056).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hob der BFH das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Im Geburtsland des großen Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen erfreut sich die Genossenschaft großer Beliebtheit. Obgleich der genossenschaftlich organisierte Wirtschaftssektor von beträchtlicher Größe ist, erreichen den BFH nur relativ selten Fälle mit einer Genossenschaft als Klägerin.
2. Im Streitfall war die klagende Genossenschaft im Zusammenhang mit der Anwendung der Übergangsregelungen nach dem Ende des KSt-Anrechnungsverfahrens in das Blickfeld des FA geraten. Die gesetzlichen Übergangsregelungen (§§ 36 ff. KStG) befassen sich besonders intensiv mit zwei Übergangsproblemen: Was geschieht mit dem Eigenkapitaltopf EK 02 des alten Rechts, der nicht mit KSt belastet war? Was geschieht mit Töpfen, die hoch belastet waren, was im Fall der Ausschüttung zu einer KSt-Minderung oder gar -Erstattung geführt haben würde? Im ersten Fall sah das Gesetz in § 38 KStG im Grundsatz eine Nachbelastung vor, im zweiten Fall im Grundsatz gemäß § 37 KStG eine Steuerminderung. Später (JStG 2008) wurde das Gesetz geändert. Die Nachbelastung bzw. das KSt-Guthaben führten zu unmittelbaren Zahlungspflichten (vgl. § 38 Abs. 6 KStG: ausschüttungsunabhängige Zwangsbesteuerung des EK 02) bzw. zu Zahlungsansprüchen (vgl. § 37 Abs. 5 KStG).
3. Im Streitfall galt noch das ausschüttungsabhängige System. Ausschüttungen, für die das – nicht mit KSt belastete – EK 02 als verwendet galt (Verwendungsfiktion!), lösten nach § 38 Abs. 2 KStG eine KSt-Erhöhung aus.
4. Im Streit zwischen den Beteiligten stand allein der in § 38 Abs. 1 und Abs. 2 KStG verwendete Leistungsbegriff. Dass dieser "normale" Gewinnausschüttungen erfasst, ist unproblematisch zu bejahen. Im Streitfall ging es allerdings um einen Sonderfall. Die klagende Genossenschaft hatte mit Beschluss der Generalversammlung den Geschäftsanteilswert der einzelnen Genossenschaftsanteile herabgesetzt, was zu einer Geldauszahlung an die Genossen führte. Unstreitig war der EK-02 Topf gefüllt und galt auch als verwendet.
5. Der BFH entschied, dass die Zahlung im Zusammenhang mit der Herabsetzung des Geschäftsanteilswerts...