Leitsatz
1. Weder ein Benennungsverlangen i.S.d. § 160 AO noch die (fehlende) Antwort hierauf begründet die Tatbestandsvoraussetzungen einer selbstständigen Änderungsvorschrift.
2. Nur wenn aufgrund des Benennungsverlangens nachträglich neue Tatsachen i.S.v. § 173 AO bekannt werden, ist die Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach dieser Vorschrift möglich.
Normenkette
§ 160 Abs. 1 Satz 1, § 88 Abs. 1 Satz 1, § 143, § 162 Abs. 2 Satz 2, § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO
Sachverhalt
E war Schrotthändler. Er zeichnete sowohl seine Einnahmen wie auch seine Ausgaben in Umsatzsteuerheften auf. Die Einkünfte des E wurden ausgehend von diesen Umsatzsteuerheften an Amtsstelle ermittelt. Das FA erließ anschließend für das Streitjahr einen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid. Im Rahmen der u.a. für das Streitjahr durchgeführten Außenprüfung verlangte der Prüfer die Benennung der Zahlungsempfänger, bei denen E Schrott eingekauft hatte. Diesem Benennungsverlangen kam E nicht nach. Der Prüfer schätzte deshalb 45 % dieses Wareneinkaufs als von steuerpflichtigen Unternehmen bezogen. Die auf diesen Teil des Wareneinkaufs entfallenden Kosten ließ er nicht zum Betriebsausgabenabzug zu. Die Klage gegen den Änderungsbescheid hatte Erfolg. Das FG sah die Klage als begründet an, weil die Benennung der Empfänger erst nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides verweigert worden und somit keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache sei (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.1.2013, 4 K 212/11, Haufe-Index 5337217).
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet. Der BFH entschied, das FG sei zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Umstand, dass E dem Benennungsverlangen des FA nicht nachgekommen ist, eine Änderung der Steuerfestsetzung des Streitjahres gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht ermöglicht habe. Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO komme indes in Betracht, wenn dem FA das Fehlen eines ordnungsgemäß geführten Wareneingangs erst nachträglich bekannt geworden wäre. Mangels entsprechender Feststellungen des FG war die Sache zurückzuverweisen.
Hinweis
1. Voraussetzung für eine Änderung gemäß § 173 AO ist eine nachträglich bekannt gewordene, nicht dagegen eine nachträglich entstandene Tatsache. Verlangt ein FA die Benennung eines Empfängers gemäß § 160 AO in einem Zeitpunkt, in dem der Steuerbescheid bereits bestandskräftig ist, kann die Verweigerung der Auskunft demzufolge keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S.d. § 173 AO darstellen.
Nicht nur im Streitfall, sondern auch in anderen Fällen kommt es in einer solchen Konstellation in Betracht zu prüfen, ob als nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO die nicht ordnungsgemäße Aufzeichnung des Wareneinkaufs und damit des Wareneingangs in Betracht kommen könnte.
2. Bedeutsam sind die Ausführungen des X. Senats zum Verhältnis von § 160 AO und § 162 AO, wenn zunächst das FA – später ggf. auch das FG – bei fehlender Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO die Besteuerungsgrundlagen und damit die Höhe der Betriebsausgaben zu schätzen haben.
3. Die Schätzung nach § 162 AO ist grundsätzlich unabhängig von der Prüfung eines Abzugsverbots nach § 160 AO durchzuführen. Erkenntnisse des FA aus den Ermittlungsmaßnahmen der Betriebsprüfung einschließlich des Benennungsverlangens können im Rahmen der Prüfung der Höhe der Betriebsausgaben indes verwertbar sein. Die Berücksichtigung des in der Betriebsprüfung gewonnenen Wissens in diesem Sinne beruht nicht auf § 160 AO und ist unabhängig von den Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Vorschrift möglich und geboten. Es handelte sich um Sachverhaltsermittlungen, die bereits durch § 88 Abs. 1 Satz 1 AO gerechtfertigt sind. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sperrt diese nicht, was § 160 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich klarstellt. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen können im Rahmen des Festsetzungsverfahrens auch nach Bestandskraft eines Bescheids verarbeitet werden, wenn und soweit dies durch die entsprechenden Änderungsvorschriften gedeckt ist. Allein der Umstand, dass die entsprechenden Nachfragen ihrerseits auch als Benennungsverlangen nach § 160 AO qualifiziert werden können, ändert hieran nichts.
4. Es ist jedoch nicht möglich, die nach diesen Maßstäben anzusetzenden Betriebsausgaben aufgrund des nicht erfüllten Benennungsverlangens nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht anzuerkennen und zu reduzieren. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann der Steuerbescheid nur punktuell berichtigt werden, nämlich durch die zutreffenden Schlussfolgerungen nur aus der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache. Es wäre eine unzulässige Wiederaufrollung der Veranlagung, wenn Betriebsausgaben, die im Rahmen der Ermittlung und ggf. Schätzung nach Maßgabe des § 162 Abs. 1 AO anzusehen sind, nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr berücksichtigt werden könnten und damit die Steuerfestsetzung über den Korrekturrahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hinaus zuungunsten des St...