Leitsatz
Aufwendungen für die Unterbringung eines verhaltensauffälligen Jugendlichen in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe können nur dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn durch ein vor der Unterbringung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten nachgewiesen wird, dass die Verhaltensauffälligkeiten auf einer Krankheit beruhen und die Unterbringung in der Wohngruppe medizinisch notwendig ist.
Normenkette
§ 33 EStG
Sachverhalt
Die Kläger machten für das Jahr 1998 Aufwendungen für die Unterbringung ihres damals 16-jährigen Sohns in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe als außergewöhnliche Belastung geltend. Zum Nachweis legten sie eine ärztliche Bescheinigung und ein amtsärztliches Attest aus 2000 bzw. 2001 vor.
Das FA erkannte die Aufwendungen nicht an, da das amtsärztliche Attest erst nachträglich ausgestellt worden war. Das FG war anderer Meinung. Es gab der Klage mit der Begründung statt, die Zwangsläufigkeit habe auch durch die nachträgliche amtsärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden können, da sich der Streitfall von den vom BFH bisher entschiedenen Fällen wesentlich unterscheide.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Er bestätigt das grundsätzliche Erfordernis des Nachweises der Zwangsläufigkeit durch ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest. Ein Ausnahmefall, in dem auch ein nachträgliches Attest genügt, lag hier nicht vor.
Zwar hat der BFH zu der hier eingeleiteten Behandlung noch nicht entschieden. Er hat jedoch für therapeutische Maßnahmen, die mit der Erziehung und Fortbildung von Kindern zusammenhängen, die vorherige Einholung eines Attests generell für notwendig erachtet. Diese Entscheidungen lagen im Streitjahr 1998 bereits vor, so dass die Kläger das Nachweiserfordernis kennen konnten.
Hinweis
Krankheitskosten sind nach ständiger Rechtsprechung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, da sie dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, und zwar unabhängig von Ursache und Art der Erkrankung. Dies gilt typisierend für alle Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung, ohne dass im Einzelfall die Zwangsläufigkeit dem Grund und der Höhe nach geprüft wird. Demgemäß sind auch die Kosten der Unterbringung in einem Heim als Krankheitskosten zu berücksichtigen, wenn der Aufenthalt behinderungs- oder krankheitsbedingt ist.
Bei allen Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit, sondern vorbeugend der Gesundheit allgemein dienen können – wie z.B. auch Erholungsreisen und Kuren – und bei denen die medizinische Erforderlichkeit nur schwer zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit dem Urteil vom 14.2.1980, VI R 218/77, BStBl II 1980, 295 grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung ergibt.
Ein nachträglich ausgestelltes Attest genügt nur im Ausnahmefall, und zwar dann, wenn vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden konnte, dass er die Notwendigkeit einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung erkennt, weil der BFH erstmals ein derartiges Erfordernis für bestimmte Aufwendungen aufgestellt hat. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nicht schon dann vor, wenn der BFH zu einer bestimmten Behandlungsmethode noch nicht Stellung genommen hat, sofern der Steuerpflichtige die Notwendigkeit der vorherigen amtsärztlichen Begutachtung erkennen konnte.
Die Frage ist, was dem Steuerpflichtigen geraten werden kann, wenn sich der Amtsarzt weigert, eine entsprechende Begutachtung vorzunehmen. In diesem Fall sollte er sich an das FA wenden, damit dieses vom Amtsarzt im Weg der Amtshilfe die amtliche Begutachtung anfordert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.4.2005, III R 45/03