Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsteilstillegung. Insolvenzverfahren. Kündigung. Anhörung des Betriebsrats. Beschlussfähigkeit des Betriebsrats nach Reduzierung der Mitglieder
Leitsatz (amtlich)
1. Bilden zwei selbstständige Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb und wird dieser gemeinsame Betrieb dadurch aufgelöst, dass über das Vermögen eines der beiden Unternehmen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und der Insolvenzverwalter den von ihm geführten Betriebsteil stilllegt (BAG vom 17.01.2002 – 2 AZR 57/01), muss der für den ursprünglich gemeinsamen Betrieb von der Belegschaft beider Unternehmen gewählte Betriebsrat zu einer Kündigung eines Arbeitnehmers des noch nicht stillgelegten Betriebsteiles des (noch) nicht liquidierten anderen Unternehmens gemäß § 102 Absatz 1 BetrVG angehört werden. Dies gilt auch dann, wenn nur noch ein Betriebsratsmitglied von ursprünglich mehreren zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung in einem Arbeitsverhältnis zu dem Unternehmen steht, das seinen Betrieb noch nicht stillgelegt hat und das Arbeitsverhältnis der übrigen Betriebsratsmitglieder, die in einem Arbeitsverhältnis beim bereits liquidierten Unternehmen gestanden haben, zu diesem Zeitpunkt rechtlich bereits geendet hat.
2. Zur Fortführung der Geschäfte des Betriebsrates gemäß § 22 BetrVG, wenn die Zahl der Betriebsratsmitglieder durch Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unter die Hälfte seiner Mitglieder gesunken ist; Beschlussfähigkeit des Betriebsrates in diesem Fall.
Normenkette
BetrVG §§ 22, 102 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Urteil vom 05.07.2002; Aktenzeichen 3 Ca 89/02) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom05.07.2002 – Aktenzeichen 3 Ca 89/02 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Für den Beklagten wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, die der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 25.01.2002 zum 30.04.2002 ausgesprochen hat.
Der am 02.09.1946 geborene, verheiratete Kläger, dessen Ehefrau ebenfalls berufstätig ist, ist seit 19.05.1970 bei der Insolvenzschuldnerin (…) als … beschäftigt. Der Kläger verdiente zuletzt monatlich durchschnittlich EUR2.045,17 brutto.
Bei der Insolvenzschuldnerin (im weiteren Schuldnerin), bezüglich deren Vermögen am 01.01.2002 (8.00 Uhr) durch das Amtsgericht … das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Az.: IN 120/01), waren zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung insgesamt noch 26 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt. Ebenfalls mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 01.01.2002 wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter der Schuldnerin bestellt, bei der er zuvor als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt war. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Insolvenzeröffnungsbeschlusses wird vollinhaltlich auf Blatt 46 der Akten verwiesen.
Bereits vor Insolvenzeröffnung hatte der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Schreiben an das Amtsgericht … vom 21.12.2001 im Rahmen des Antrags der Schuldnerin auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen einen Bericht abgegeben, bezüglich dessen Einzelheiten vollinhaltlich auf Blatt 47 – 54 der Akten verwiesen wird. In diesem Beschluss führt er auf Seite 9 unter anderem aus, dass er den Mitarbeitern erklärt habe, aufgrund des Insolvenzantrags sämtlichen Mitarbeitern voraussichtlich im Rahmen der anzuwendenden Kündigungsfristen zum 30.04.2002 kündigen zu müssen. Des Weiteren (auf Seite 13), dass der Betrieb zum 30.04.2002 eingestellt werde, sollte es nicht zu einer Auffanglösung kommen und dass aufgrund der vorhandenen Geschäftsbeziehungen und der erfolgten Gespräche mit Kunden und Lieferanten der Firma über die Abwicklung der vorhandenen Aufträge, deren Durchführung und damit eine befristete Betriebsfortführung im Rahmen der Kündigungsfristen der Mitarbeiter bis 30.04.2002 möglich sei (Seite 14 des Berichts).
Mit Schreiben (datiert) vom 25.01.2002 – bezüglich dessen Einzelheiten auf Blatt 4 d. Akte verwiesen wird – kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger zum 30.04.2002, ersatzweise zum nächstmöglichen gesetzlichen Kündigungstermin. Der Kläger erhielt dieses Schreiben am 31.01.2002.
Infolge der Wahlausschreibung für die Wahl eines Betriebsrats im Betrieb der Schuldnerin und der … (im weiteren …) vom 15.09.1999, bezüglich dessen Einzelheiten vollinhaltlich auf Blatt 26 der Akten verwiesen wird, wurde Herr … als Betriebsratsmitglied des insgesamt aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsratsgremiums gewählt. Herr …, zum damaligen Zeitpunkt und zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung beim Kläger als Arbeitnehmer bei der Schuldnerin angestellt und für diese tätig, nahm das Amt an und übte sein Amt, jedenfalls zunächst, auch aus. Bei der … handelt es sich um ein rechtlich selbständiges Unternehmen, dessen Mehrheitsgesellschafter und Mitgeschäftsführer, ebenso wie bei...