Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft eines freiberuflich angestellten Praxisvertreters. Annahme einer selbständigen Tätigkeit im Gesundheitswesen. Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters wegen vorgegebener Arbeitszeit. Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters wegen fehlender eigener Betriebsmittel. Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters trotz eigener Zahlung von Steuern und Sozialbeiträgen
Leitsatz (amtlich)
Zur Arbeitnehmereigenschaft eines "freiberuflich" angestellten Praxisvertreters, der selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen sollte (hier bejaht).
Normenkette
ArbGG §§ 2, 5 Abs. 1; BGB § 611a Abs. 1; GVG § 17a Abs. 4 S. 3; Ärzte-ZV § 32 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 03.12.2021; Aktenzeichen 19 Ca 3335/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 03.12.2021 - 19 Ca 3335/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beklagte ist Fachärztin für Dermatologie, Allergologie und Phlebologie mit Vertragsarztsitz in K . Der Kläger hatte die Facharztausbildung zum Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten beendet. Veranlasst durch eine Erkrankung der Beklagten schlossen die Parteien unter dem 12./13.04.2021 einen Praxisvertretungsvertrag. Danach sollte der Kläger die Beklagte auf deren Rechnung in ihrer Praxis im Zeitraum vom 12.04.2021 bis 30.06.2021 zu einem Stundensatz von 100,00 EUR und einer Prämie in Höhe von 50% des erbrachten oder verordneten IGEL-Umsatzes vertreten. Der Kläger sollte ausdrücklich nicht als angestellter Arzt, sondern "freiberuflich" tätig werden und selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen. Als "Arbeitszeiten" waren im Vertrag Montag, Dienstag, Donnerstag von 8.30 bis 18.00 und Mittwoch von 8.30 bis 17.00 Uhr, jeweils mit einer Unterbrechung zwischen 13.00 und 14.00 Uhr, festgelegt. Der Freitag war frei. Für "eventuelle Streitigkeiten" aus dem Vertrag vereinbarten die Parteien den ordentlichen Rechtsweg.
Mit Schreiben vom 19.05.2021 kündigte die Beklagte den Vertrag zum 10.06.2021 sowie mit einem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 25.05.2021 außerordentlich. Zudem erteilte die Beklagte dem Kläger ein Hausverbot.
Der Kläger ist der Ansicht, er sei Arbeitnehmer der Beklagten gewesen. Mit seiner am 11.06.2021 bei dem Arbeitsgericht Köln anhängig gemachten und der Beklagten am 22.06.2021 zugestellten Klage begehrt er
 die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aus dem "Praxisvertretungsvertrag" vom 12./13.04.2021 nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten zum 25.05.2021 beendet worden ist und auch nicht durch andere Kündigungstatbestände vor dem 10.06.2021 sein Ende gefunden hat,
 die Zahlung von 15.275,00 EUR für reguläre ärztliche Leistungen und IGEL-Leistungen für den Zeitraum bis zum 10.06.2021,
 Auskunft über die Ausführungen der von ihm geplanten IGEL-Leistungen im Zeitraum vom 26.05. bis 11.06.2021 sowie
 nach Auskunftserteilung die Zahlung von 50 % des von der Beklagten vereinnahmten Honorars aus diesen IGEL-Leistungen.
Die Beklagte rügt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen und vertritt die Ansicht, dass der Kläger als freier Dienstleister tätig geworden sei. Schon die Formulierungen im Praxisvertretungsvertrag sowie auch die Abrechnungen des Klägers würden gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Weil die Anstellung eines Mitarbeiters gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung anders als eine Praxisvertretung genehmigungspflichtig gewesen wäre, hätten die Parteien keine abhängige Beschäftigung vornehmen können. Der Kläger habe auch keinerlei Behandlungen nach ihrer Weisung durchführen müssen. Zu Anweisungen sei sie mangels eigener Anwesenheit gar nicht in der Lage gewesen. Direkt am 12.04.2021 habe der Kläger die Arbeitszeiten in der Praxis und die der Mitarbeiter geändert, Möbel umgeräumt und IGEL-Verträge und -Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen. Er habe nach freiem Gutdünken Weisungen an das Personal erteilt. Trotz des von ihr erteilten Hausverbots habe er sich mittels der Polizei Zugang zu der Praxis mit der Begründung verschafft, er sei nicht Angestellter, sondern Praxisvertreter.
Das Arbeitsgericht hat mit seinem Beschluss vom 03.12.2021 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für eröffnet erklärt und zur Begründung ausgeführt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Daran ändere nichts, dass die Parteien formal einen sogenannten "Praxisvertretungsvertrag" geschlossen und darin ausdrücklich ein Angestelltenverhältnis ausgeschlossen hätten. Denn das Vertragsverhältnis der Parteien sei nicht als freies Dienstverhältnis gelebt worden. Der Kläger sei in den Praxisbetrieb vollständig eingebunden gewesen. Wegen der im Praxisvertretungsvertrag ausdrücklich festgelegten Arbeitszeiten habe er weder andere unternehmerische Tätigkeiten verrichten noch selbst bestimmen können, wann er Patienten behandelt oder Abrechnungsa...