Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Die grunderwerbsteuerrechtlichen Anzeigepflichten der Beteiligten und Notare sind objektiver Natur.
2. Die Prüfung der leichtfertigen Steuerverkürzung folgt auch im Rahmen der Festsetzungsverjährung materiell-rechtlich dem Ordnungswidrigkeitenrecht. Es gilt ein subjektiver Leichtfertigkeitsmaßstab.
Normenkette
§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, § 170 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 370, § 378 AO, § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 3 Nr. 2, § 14, § 18 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 5, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 GrEStG
Sachverhalt
Der Kläger erhielt von seinen Eltern alle Geschäftsanteile an einer GmbH geschenkt. Die Schenkung erfolgte in mehreren Anteilen durch Verträge vom 18.12.2003 und 2.4.2007 und zuletzt mit dem verbliebenen Anteil i.H.v. 42,31 % durch Vertrag vom 3.2.2009. Die GmbH war Eigentümerin eines am 18.9.2008 erworbenen Grundstücks. Der Notar hatte die Beteiligten bei der Beurkundung des Vertrags darüber belehrt, dass eine GrESt-Pflicht bestehe, falls die GmbH Grundbesitz habe und der Vertrag eine Anteilsvereinigung bewirke. Er wies darauf hin, dass das FA eine beglaubigte Abschrift des Vertrags erhalte. Die Anzeige des Notars, adressiert an die KSt-Stelle des FA, ging am 13.2.2009 beim FA ein. Ein Hinweis auf Grundbesitz der GmbH oder eine Bitte um Weiterleitung an die GrESt-Stelle war der Anzeige des Notars nicht beigefügt worden. Der Kläger und sein Vater zeigten die Schenkung der GmbH-Anteile nicht dem FA an.
Im Jahr 2017 veräußerte der Kläger 51 % seiner Anteile an der GmbH an einen Dritten. Aufgrund der Veräußerungsanzeige erhielt das FA Kenntnis von den Schenkungen der GmbH-Anteile an den Kläger. Es setzte erstmals mit Bescheid vom 4.8.2017 GrESt für eine Anteilsvereinigung vom 3.2.2009 i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG fest. Dabei wurde die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG für das Grundstück mit einem Anteil von 42,31 % gewährt. Das FG hat die Klage, mit der sich der Kläger auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung berief, abgewiesen (Thüringer FG, Urteil vom 29.1.2020, 4 K 381/18, Haufe-Index 15017418, EFG 2022, 220). Es hat dabei in Bezug auf die Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2, § 378 AO einen erhöhten Sorgfaltsmaßstab für den Kläger als Kaufmann angelegt.
Entscheidung
Die Revision des Klägers war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen.
Hinweis
1. Entscheidend war im vorliegenden Fall, ob die Frist für die Festsetzung der GrESt am 4.8.2017 bereits abgelaufen war. Ist – wie bei der GrESt – eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
2. Zu der Anzeigepflicht i.S.d. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehört auch die Anzeigepflicht der Beteiligten an einem Grundstückserwerb gemäß § 19 GrEStG. Zwar ist § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO für die Anzeigepflicht der Notare aus § 18 GrEStG nicht unmittelbar anwendbar. Gibt der Notar eine ordnungsgemäße Anzeige an das zuständige FA ab, so gilt diese jedoch auch für die Vertragsparteien.
3. Im vorliegenden Fall hat der Notar jedoch keine ordnungsgemäße Anzeige i.S.d. § 18 GrEStG abgegeben. Nach § 18 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GrEStG haben Notare innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung dem zuständigen FA schriftlich Anzeige zu erstatten. Dies betrifft auch die Beurkundung der Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein Grundstück gehört. Die Anzeige ist an die GrESt-Stelle des FA zu richten. Wird die Anzeige vom Notar – wie im vorliegenden Fall – nicht entsprechend adressiert, erfüllt sie die Anforderungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht.
4. Auch der Kläger hatte keine Anzeige beim FA abgegeben. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 GrEStG müssen Steuerschuldner an das für die Besteuerung zuständige FA Anzeige über Geschäfte i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erstatten. Die Anzeigepflicht ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kann deshalb unabhängig von subjektiven Merkmalen eintreten.
5. Danach begann die Festsetzungsfrist im vorliegenden Fall mit Ablauf des Jahres 2012 zu laufen. Die Steuer war mit der Anteilsübertragung im Jahr 2009 entstanden, sodass die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2012 endete. Bis zu diesem Zeitpunkt war für die Anteilsübertragung keine wirksame Anzeige beim FA eingereicht worden.
6. Der angefochtene Bescheid vom 4.8.2017 wäre danach nur dann innerhalb offener Festsetzungsfrist ergangen, wenn diese sich aufgrund einer leichtfertigen Steuerverkürzung des Steuerschuldners gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre v...