Prof. Dr. Gerd Waschbusch
Rz. 8
Die Anzahl und die Ausprägung der Zwecke des handelsrechtlichen Jahresabschlusses sind gesetzlich nicht geregelt und im Schrifttum nach wie vor umstritten. Nach allgemeiner Auffassung leiten sich die Zwecke des handelsrechtlichen Jahresabschlusses unter Heranziehung der Koalitionstheorie aus den Informations- und Zahlungsbemessungsinteressen der Jahresabschlussadressaten ab, zu denen in erster Linie die Eigen- und Fremdkapitalgeber gehören. Danach dient der handelsrechtliche Jahresabschluss den Zwecken der Dokumentation, der Information sowie der Zahlungsbemessung.
Rz. 9
Der Dokumentationszweck gewährleistet die vollständige, richtige und systematische Aufzeichnung von Geschäftsvorfällen und sonstigen Ereignissen und stellt damit das Fundament für die beiden weiteren Zwecke der Information und der Zahlungsbemessung dar.
Rz. 10
Der Informationszweck beinhaltet sowohl den Zweck der Selbstinformation des Kaufmanns als auch den Zweck der Rechenschaftslegung gegenüber den Jahresabschlussadressaten, insbesondere gegenüber den Eigen- und Fremdkapitalgebern. Gemäß § 264 Abs. 2 HGB soll der handelsrechtliche Jahresabschluss detaillierte Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft bereitstellen, anhand derer allgemein die Jahresabschlussadressaten bzw. wiederum speziell die Eigenkapitalgeber und die Fremdkapitalgeber sich einerseits einen fundierten Überblick über die Tätigkeit der Unternehmensleitung in der vergangenen Rechnungsperiode verschaffen sollen (vergangenheitsbezogene Kontrollfunktion) und andererseits wirtschaftliche Entscheidungen hinsichtlich ihrer Beziehung zum Unternehmen treffen können (zukunftsbezogene Entscheidungsfunktion).
Rz. 11
Die Zahlungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses dient vor allem der Bemessung von Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber bzw. der Gewinnermittlung und der anschließenden Gewinnverteilung. Zwischen der Gewinnermittlung und der Gewinnverteilung kann es jedoch in Einzelfällen zu Schwierigkeiten kommen. Für Fremdkapitalgeber besteht nämlich ein gesetzliches Schutzbedürfnis. Zu hohe Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber können das Eigenkapital – also das Verlustausgleichs- bzw. das Haftungsvermögen des Unternehmens – ggf. äußert stark reduzieren. Dadurch würde sich das Kreditausfallrisiko der Fremdkapitalgeber massiv erhöhen. Aus diesem Grund bestehen vereinzelt gesetzliche Obergrenzen für Ausschüttungen (Ausschüttungsbegrenzung) bzw. Vorschriften zur Eigenkapitalerhaltung zum Schutz der Gläubiger. Allerdings müssen auch bestimmte Gruppen von Eigenkapitalgebern durch gesetzliche Ausschüttungsuntergrenzen geschützt werden (Ausschüttungssicherung). Ansonsten könnte die Geschäftsleitung des Unternehmens die ausschüttbare Höhe des Gewinns willkürlich reduzieren. Insbesondere Kleinaktionäre von Publikums-Aktiengesellschaften sollen durch gesetzliche Ausschüttungsuntergrenzen eine bestimmte Mindestausschüttung garantiert bekommen.