Leitsatz
1. Ob das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, bestimmt sich nach dem qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen. Dies zu beurteilen obliegt in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz.
2. Bei einem Ingenieur, dessen Tätigkeit wesentlich durch die Erarbeitung theoretischer komplexer Problemlösungen im häuslichen Arbeitszimmer geprägt ist, kann dieses auch dann den Mittelpunkt der beruflichen Betätigung bilden, wenn die Betreuung von Kunden im Außendienst ebenfalls zu seinen Aufgaben gehört.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist als Diplomingenieur nicht selbstständig tätig. Er übt seinen Beruf teilweise zu Hause und teilweise auswärts aus. Bei seinem Arbeitgeber steht ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung. Für ein häusliches Arbeitszimmer machte er Aufwendungen in Höhe von 6.572 DM geltend.
Der Arbeitgeber des Klägers stellt Industriepumpen für Chemieunternehmen her und übernimmt deren Wartung. Neben der Akquisition von Neukunden, der Pflege von Kunden- und Produktdateien hat der Kläger insbesondere die Aufgabe, bei Defekt der Pumpen technische Problemlösungen unter Anfertigung von Konstruktionszeichnungen zu erarbeiten. Dies geschieht in seinem Arbeitszimmer. Die Reparatur der Pumpen obliegt anderen Bediensteten des Arbeitgebers. In seinem Arbeitszimmer bewahrt der Kläger sämtliche Konstruktionszeichnungen der in seinem Kundengebiet ausgelieferten Pumpen einschließlich der dazugehörigen technischen und geschäftlichen Unterlagen auf.
Das FA ließ lediglich Aufwendungen in Höhe von 2.400 DM als Werbungskosten zu. Das Arbeitszimmer sei – auch im Hinblick auf die Außendiensttätigkeit des Klägers – nicht Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Das FG habe unter zutreffender Würdigung aller Gesamtumstände befunden, dass das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Betätigung gebildet habe. Das FG habe revisionsrechtlich einwandfrei festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers wesentlich durch die Erarbeitung individueller technischer Problemlösungen im häuslichen Arbeitszimmer geprägt gewesen sei und nicht mit der eines typischen Handelsvertreters verglichen werden könne. Der Außendiensttätigkeit des Klägers komme qualitativ nur eine nachgeordnete Bedeutung zu.
Hinweis
1. Die vorliegenden Entscheidungen vom gleichen Tag (VI R 28/02, VI R 104/01, VI R 82/01) ergänzen die bisherigen Grundsatzentscheidungen zum häuslichen Arbeitszimmer.
In der ersten Grundsatzentscheidung vom 19.9.2002, VI R 70/01, BFH-PR 2003, 88 hat der BFH zunächst einmal geklärt, was unter dem Begriff eines "häuslichen Arbeitszimmers" zu verstehen ist (vgl. auch BFH, Urteil vom 16.10.2002, XI R 89/00, BFH-PR 2003, 132).
Mit Urteil vom 13.11.2002, VI R 164/00, BFH-PR 2003, 170 hat der BFH anschließend präzisiert, was unter "häuslich" zu verstehen ist.
In den vorliegenden drei Grundsatzentscheidungen wird nunmehr geklärt, wann "das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" des Steuerpflichtigen bildet (Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz). Der BFH hat bewusst mehrere Revisionen zur Veröffentlichung bestimmt, um dem Rechtsanwender durch eine Gesamtschau und durch einen Vergleich der Fälle eine erhöhte Rechtssicherheit zukommen zu lassen.
2. Nach Ansicht des BFH ist das häusliche Arbeitszimmer dann der Betätigungsmittelpunkt, wenn dort die wesentlichen und prägenden Handlungen und Leistungen des Steuerpflichtigen erbracht werden. Die diesbezügliche Würdigung aller Umstände obliegt in erster Linie den Finanzgerichten. Der BFH hebt auch insoweit nochmals die besondere Verantwortung der Tatrichter für die sorgfältige Sachaufklärung und -würdigung hervor.
Dabei bestimmt sich der Betätigungsmittelpunkt nach inhaltlichen, qualitativen Merkmalen. Im Rahmen der dabei anzustellenden Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen kommt der zeitlichen (quantitativen) Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers nur eine indizielle Bedeutung zu.
3. Dass dem zeitlichen Umfang – entgegen der Ansicht zahlreicher Finanzgerichte – nicht die entscheidende Bedeutung zugemessen werden kann, folgt schon aus dem gesetzlichen Gesamtzusammenhang. Da Satz 2 der Vorschrift ein quantitatives (zeitliches) Tatbestandsmerkmal enthält (Anerkennung von 2.400 DM, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung mehr als 50 % der gesamten ... Tätigkeit beträgt), muss der Mittelpunktsregelung des Satzes 3 (2. Halbsatz) eine andere Bedeutung zukommen; letztere Regelung kann also nicht nur quantitativ verstanden werden. Ginge man davon aus, dass ein Arbeitszimmer nur dann "Mittelpunkt" sein könne, wenn der Steuerpflichtige dort überwiegend tätig ist, käme der Regelung in Satz 3 (2. Halbsatz) keine eigenständige Bedeutung mehr zu.
4. Die Mittelpunktsregelung kann demgemäß auch dann erfüllt sein, wenn eine zeitliche Nutzung von 50 % n...