Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
2.1 Sachverhalt
Unternehmer U betreibt in Aachen einen Fachhandel für Fotozubehör. Darüber hinaus bietet er auf seiner eigenen Internetseite auch den Versand von Fotoapparaten und Zubehör an. Neben Kunden in Deutschland hat er aufgrund seiner geografischen Lage auch Kunden in den Niederlanden und in Belgien. In 2020 hat er an Privatkunden in den Niederlanden für 8.000 EUR und in Belgien für 4.000 EUR geliefert; Privatkunden aus anderen Mitgliedstaaten hat U nur sehr selten. Wegen der Corona-Pandemie verspürt er bei seinen Kunden auch im Online-Handel eine deutliche Kaufzurückhaltung, sodass er in der ersten Hälfte 2021 an Privatkunden in den Niederlanden und in Belgien nur Waren von insgesamt 3.000 EUR liefern konnte.
Anfang Juli 2021 liegen bei U die folgenden Bestellungen von Kunden vor, um deren Beurteilung U bittet. Bisher hatte U seine Umsätze immer in Deutschland besteuert.
- Ein Kunde aus den Niederlanden hat einen Fotoapparat bestellt, den U zu seinem Kunden direkt in die Niederlande senden möchte. U geht von einem Nettokaufpreis von 1.000 EUR aus.
- Ein Kunde aus Belgien hat ein Teleobjektiv bestellt. Der Kunde möchte das Objektiv nach telefonischer Vereinbarung bei U in Aachen abholen. U geht von einem Nettokaufpreis von 500 EUR aus.
- Ein Kunde aus Österreich, der 2019 bei ihm im Ladengeschäft eine Spezialkamera gekauft hatte, hat ein Ersatzteil für diese Kamera für (netto) 200 EUR bestellt. Da der Kunde aufgrund der Corona-Pandemie nicht so bald nach Deutschland kommt, hat er U gebeten, ihm dieses Ersatzteil nach Österreich zu senden.
2.2 Fragestellung
U möchte wissen, welche Rechtsfolgen sich für ihn aus den genannten Vorgängen ergeben.
2.3 Lösung
U ist Unternehmer, da er selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist; zu dem Rahmen seiner unternehmerischen Betätigung gehören die Lieferung der Fotoapparate sowie des Zubehörs.
Unternehmerische Betätigung gilt grenzüberschreitend
Die unternehmerische Tätigkeit ist nicht auf einen Staat begrenzt. Ist der Unternehmer unternehmerisch tätig, erstreckt sich seine Tätigkeit auf seine weltweiten Aktivitäten.
U führt Lieferungen aus, da er seinen Kunden Verfügungsmacht an den Gegenständen verschafft. Die Kunden wenden eine Gegenleistung auf, sodass auch jeweils ein Leistungsaustausch vorliegt.
Damit ein in Deutschland steuerbarer Umsatz vorliegt, muss der Ort der Lieferung im Inland sein. Die Festlegung des Orts der Lieferung erfolgt nach der in § 3 Abs. 5a UStG vorgegebenen Prüfungsreihenfolge. Danach ist zuerst zu prüfen, ob der Ort der Lieferung sich nach § 3c UStG richtet. Bis zum 30.6.2021 lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3c UStG a. F. nicht vollständig vor, da U zwar die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat versendete, die Abnehmer zu den Leistungsempfängern i. S. d. § 3c Abs. 2 UStG gehörten, U aber nicht die Lieferschwelle in Belgien und den Niederlanden überschritten hatte.
Kein Verzicht auf Anwendung der Lieferschwellenregelung sinnvoll
U konnte – jeweils individuell – auf die Anwendung der Lieferschwellenregelung verzichten. In diesem Fall hätte sich der Ort der Lieferung dorthin verlagert, wo sich die Gegenstände am Ende der Beförderung oder Versendung befinden. Die Lieferungen wären dann nicht in Deutschland steuerbar, würden aber zu steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätzen in den Niederlanden bzw. in Belgien führen. Ein Verzicht ist sowohl wegen der dort geltenden höheren Steuersätze als auch wegen der damit dann zwingend in diesen Staaten notwendigen Veranlagung nicht sinnvoll.
Die bis zum 30.6.2021 nach Belgien oder in die Niederlande ausgeführten Versandlieferungen waren damit nach § 3 Abs. 6 UStG dort ausgeführt, wo die Warenbewegung jeweils begann, sodass die Lieferungen in Deutschland steuerbar waren. Da diese Lieferungen auch keiner Steuerbefreiung unterlagen – insbesondere kann bei einer Lieferung an Nichtunternehmer auch keine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen –, musste U für diese Lieferungen deutsche Umsatzsteuer anmelden und abführen.
Lieferung an den Kunden aus den Niederlanden
Für die Lieferung an Kunden aus den Niederlanden ist ab Juli 2021 die neue Vorschrift zu den innergemeinschaftlichen Fernverkäufen zu prüfen. U versendet die Ware aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat. Der Käufer ist auch ein Abnehmer, für den die Regelungen der innergemeinschaftlichen Fernverkäufe anzuwenden sind – im vorliegenden Fall ein Nichtunternehmer.
Leistungsempfänger tritt ohne gültige USt-IdNr. auf
In der Praxis wird sich die Anwendung des § 3c Abs. 1 UStG anhand der Verwendung einer gültigen USt-IdNr. entscheiden. Tritt der Käufer mit einer gültigen USt-IdNr. aus einem anderen Mitgliedstaat auf, hat dieser einen innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsmitgliedstaat zu besteuern. In diesem Fall kommt es nicht zur Verlagerung des Orts der Lieferung in den Bestimmungsmitgliedstaat für den liefernden Unternehmer. Tritt der Leistungsempfänger mit einer gültigen USt-IdNr. aus einem an...