Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
4.1 Sachverhalt
Unternehmer B aus Bonn betreibt seit Jahren neben einem Elektro-Einzelhandelsgeschäft auch einen eigenen Online-Shop. Um die Lieferung an Privatpersonen in anderen Mitgliedstaaten problemlos abwickeln zu können – er überschreitet mit seinen Lieferungen klar die Umsatzschwelle von 10.000 EUR nach § 3c Abs. 4 UStG – hat sich B rechtzeitig im Juni 2021 für den One-Stop-Shop nach § 18j UStG beim BZSt angemeldet.
Um neue Kundschaft zu erschließen, hat B zum 1.7.2021 mit dem europaweit tätigen Online-Marktplatz "A" einen Vertrag abgeschlossen, nach dem die Waren des B über den Online-Marktplatz vertrieben werden. Um eine zeitnahe Auslieferung zu ermöglichen, ist vereinbart worden, dass B dem A Waren im Wert (Anschaffungskosten) von 50.000 EUR überlässt. A nimmt die Gegenstände Anfang Juli in sein Zentrallager in Köln auf. B erfährt kurze Zeit später, dass A zur besseren Versorgung in den Benelux-Ländern die Hälfte der Waren in ein Lager in Eindhoven (Niederlande) umgelagert hat. Ende Juli 2021 wird von dem Warenbestand aus dem Lager in Eindhoven ein Fernseher an einen Privatkunden in Amsterdam (Niederlande) und ein Fernseher an einen Privatkunden in Leer (Deutschland) für jeweils (brutto) 1.000 EUR ausgeliefert.
4.2 Fragestellung
B möchte wissen, welche Besteuerungsfolgen sich für ihn aus den genannten Sachverhalten ergeben.
4.3 Lösung
B ist Unternehmer, da er selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist; zu dem Rahmen seiner unternehmerischen Betätigung gehört die Lieferung der Elektroartikel.
Die Überlassung der Elektroartikel an A in das Zentrallager in Köln führt zu keinem umsatzsteuerrelevanten Vorgang, da keine Verfügungsmacht an den Gegenständen verschafft wird. Mit der Umlagerung der immer noch dem B zuzurechnenden Gegenstände aus dem Lager in Köln in das Lager in Eindhoven kommt es zu einem innergemeinschaftlichen Verbringen der Ware. In Deutschland führt dies für B zu einer (fiktiven) Lieferung gegen Entgelt, die am Beginn der Warenbewegung als ausgeführt gilt. Das in Deutschland damit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbare Verbringen ist aber unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 Buchst. b i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei.
Steuerfreiheit als innergemeinschaftliches Verbringen setzt USt-IdNr. voraus
Seit dem 1.1.2020 ist auch bei einem innergemeinschaftlichen Verbringen eine USt-IdNr. und die zutreffende Meldung in der Zusammenfassenden Meldung Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Damit muss sich B vorher in den Niederlanden registrieren lassen und eine USt-IdNr. in den Niederlanden beantragen. Ohne diese Voraussetzung wäre das Verbringen in Deutschland steuerpflichtig.
Die Bemessungsgrundlage für das innergemeinschaftliche Verbringen bestimmt sich anhand der Wiederbeschaffungskosten, hier 25.000 EUR. Dieser Umsatz ist in der Zusammenfassenden Meldung anzugeben.
In den Niederlanden muss B einen innergemeinschaftlichen Erwerb analog § 1a Abs. 2 UStG besteuern, dessen Ort nach § 3d Satz 1 UStG dort ist, wo die Ware sich am Ende des Transports befindet (Niederlande). Der Erwerb ist damit in den Niederlanden steuerbar und steuerpflichtig. Die Bemessungsgrundlage beträgt 25.000 EUR, sodass sich eine Umsatzsteuer von (25.000 EUR x 21 % =) 5.250 EUR ergibt. Diese Erwerbsteuer muss B in den Niederlanden im normalen Veranlagungsverfahren anmelden. Unter den weiteren nationalen Voraussetzungen ist B aber in den Niederlanden zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Die Lieferung des Fernsehers aus dem Lager in Eindhoven an den Privatkunden in Amsterdam ist ein rein inländischer Vorgang in den Niederlanden. Der Umsatz ist in Deutschland nicht steuerbar, die Lieferung ist aber (nach niederländischen Recht) in den Niederlanden steuerbar und steuerpflichtig. B muss aus dem Kauferlös die niederländische Umsatzsteuer (21 %) herausrechnen und beim niederländischen Finanzamt im Regelverfahren anmelden.
Weder innergemeinschaftlicher Fernverkauf noch Besteuerung über OSS
Bei der Lieferung aus dem Lager in den Niederlanden an den niederländischen Kunden kann es nicht zur Anwendung der Regelungen über den innergemeinschaftlichen Fernverkauf kommen, da die Gegenstände nicht in einen anderen Mitgliedstaat gelangen. Deshalb kann auch keine Besteuerung über den One-Stop-Shop (OSS) nach § 18j UStG erfolgen.
Die Lieferung des Fernsehers aus dem Lager in Eindhoven zu dem Privatkunden in Leer (Deutschland) ist ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf nach § 3c Abs. 1 UStG; die Umsatzschwelle nach § 3c Abs. 4 UStG ist nach den Sachverhaltsangaben überschritten. Damit verlagert sich der Ort der Lieferung dorthin, wo der Gegenstand sich am Ende der Beförderung oder Versendung befindet – hier in Deutschland. Die Lieferung ist in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig. Die Bemessungsgrundlage bestimmt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG mit dem, was B erhält, abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer. Die Bemessungsgrundlage beträgt damit (1.000 EUR ./. 159,66 EUR =) 840,34 EUR. ...