Leitsatz
1. Die Übertragung eines Betriebs unter Familienangehörigen kann auch dann unentgeltlich sein, wenn der Erwerber sämtliche Betriebsschulden übernimmt und das Eigenkapital im Zeitpunkt der Übertragung negativ ist.
2. Der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs gilt im Fall der unentgeltlichen Betriebsübertragung auch für den Rechtsnachfolger, so dass unrichtige Bilanzansätze, die in die nicht mehr änderbare letzte Veranlagung des Rechtsvorgängers (Betriebsübergeber) mit Auswirkungen auf dessen Gewinn oder Verlust Eingang gefunden haben, gegebenenfalls beim Betriebsübernehmer ergebniswirksam zu korrigieren sind.
3. Trotz des Grundsatzes des formellen Bilanzenzusammenhangs können im Anschluss an eine unentgeltliche Betriebsübertragung nachträgliche Betriebsausgaben des Betriebsübergebers vorliegen, wenn dieser Aufwendungen trägt, die im Zusammenhang mit seiner früheren Betriebsführung stehen.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 4 Abs. 2 und 4, § 6 Abs. 3, § 15, § 24 Nr. 2 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin übernahm von ihrem Vater (V) für einige Jahre ein gewerbliches Einzelunternehmen. In dieser Zeit entstanden für die beschäftigten Arbeitnehmer Beitragsverpflichtungen der Klägerin gegenüber einer Urlaubskasse. Diese berücksichtigte sie in den betreffenden Bilanzen weder als Rückstellungen noch als Verbindlichkeiten, obwohl noch während ihrer Betriebsinhaberschaft erste arbeitsgerichtliche Prozesse liefen und sie zu Zahlungen verurteilt wurde. Mit Wirkung vom 1.10.2004 übertrug die Klägerin das Unternehmen mit sämtlichen Aktiva und Passiva an V zurück, wobei eine Verbindlichkeitsfreistellung ggf. auch nur im Innenverhältnis erfolgen sollte. Die Prozesse wurden zum Teil erst nach dem Betriebsübergang auf V abgeschlossen. V leistete zunächst Zahlungen auf die Beitragsverbindlichkeiten, stellte diese aber dann ein. Im Jahr 2016 wurde über das Unternehmens- und das Privatvermögen des V das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin wurde von der Urlaubskasse selbst in Anspruch genommen und erbrachte in den Jahren 2014 bis 2016 Zahlungen, die sie in diesen Jahren als negative gewerbliche Einkünfte erklärte. Das FA erkannte diese nicht an. Das FG (Thüringer FG, Urteil vom 23.11.2021, 3 K 308/18, Haufe-Index 15160576, EFG 2022, 329) wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH gab der Revision der Klägerin statt. Er bestätigte das FG zwar in der Annahme einer unentgeltlichen Betriebsübertragung im Ganzen und einer Korrekturverpflichtung hinsichtlich der unterbliebenen Passivierung der Beitragsverpflichtung. Anders als das FG folgerte der BFH aus der unterbliebenen Bilanzkorrektur aber keine Sperrwirkung im Hinblick auf die Anerkennung eines nachträglichen Betriebsausgabenabzugs.
Hinweis
1. Bei einer unentgeltlichen Betriebsübertragung im Ganzen liegt weder eine Betriebsveräußerung noch -aufgabe vor. Vielmehr sind beim Übergeber die Buchwerte anzusetzen und der Übernehmer ist an diese gebunden (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Voraussetzung der Buchwertfortführung ist, dass der Übertragende seine bisherige Tätigkeit einstellt und der Übernehmer den Betrieb fortführt, in dessen Wirtschaftsgütern etwaige stille Reserven ruhen. Allerdings bewirkt die Betriebsübertragung im Ganzen keine umfassende Rechtsnachfolge, sondern die Rechtsnachfolge ist auf die Beziehungen beschränkt, welche im Gesetz näher bestimmt sind.
2. Bei fremden Dritten besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen und im Zweifel Entgeltlichkeit vorliegt. Demgegenüber besteht eine solche Vermutung bei sich nahestehenden Personen, wie z.B. Familienangehörigen, nicht. Vielmehr ist hier umgekehrt (widerlegbar) zu vermuten, dass die beiderseitigen Leistungen nicht nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen sind und eine (teil-)unentgeltliche Übertragung stattgefunden hat. Selbst eine Übernahme von Verbindlichkeiten muss der Annahme eines unentgeltlichen Übertragungsvorgangs nicht entgegenstehen.
3. Soweit Verbindlichkeiten oder Rückstellungen nicht passiviert wurden und ein Bilanzierungsfehler vorliegt, ist dieser Bilanzierungsfehler gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig in der Bilanz des Wirtschaftsjahres zu berichtigen, in dem es zu der fehlerhaften Bilanzierung gekommen ist. Ist die Veranlagung für das Fehlerjahr schon bestandskräftig durchgeführt, erfolgt die Korrektur nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs in der ersten verfahrensrechtlich noch offenen Veranlagung für die Folgejahre. Bei einer unentgeltlichen Betriebsübertragung im Ganzen kann dies auch die erste noch offene Veranlagung des Betriebsübernehmers sein, soweit der Bilanzierungsfehler bei diesem fortgewirkt hat.
4. Allerdings kann es trotz einer Betriebsübertragung im Ganzen dazu kommen, dass bestimmte Wirtschaftsgüter, die nicht zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören, beim Übertragenden verbleiben. Soweit diese (unter Aufdeckung der stillen Reserven) weder veräußert noch entnommen werden, ...