vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG
Leitsatz (redaktionell)
- Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG.
- Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung beim leistenden Unternehmer unter Suspendierung des Vertrauensschutzes nicht gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt.
Normenkette
UStG §§ 13b, 27 Abs. 19; AO § 176 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Antragstellerin nach dem Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2013 V R 37/10, BStBl. II 2014, 128 für die Streitjahre 2011 und 2012 Umsatzsteuer für die Erbringung von Bauleistungen an die S KG in S (KG) schuldet, obwohl Antragstellerin und KG bei Abrechnung dieser Leistungen übereinstimmend davon ausgegangen waren, dass die KG als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer nach § 13 b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 und Abs. 5 Umsatzsteuergesetz (UStG) i. V. m. Abschn. 13 b. 1. Satz 1, Abs. 3 und 11 des Umsatzsteueranwendungserlasses 2010 (UStAE) schulde.
Die Antragstellerin betreibt einen Betrieb der Planung, Errichtung und Betreuung von Heizungs-, Lüftungs- und sanitären Anlagen aller Art in S. In den Streitjahren 2011 und 2012 erbrachte sie u. a. drei Bauleistungen gegenüber der KG. Mit Rechnungen wurde über netto 2.118,91 € für 2011 und 588,70 € für 2012 abgerechnet. Die von der Antragstellerin erteilten Rechnungen enthielten mit Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft der KG als Leistungsempfängerin nach § 13 b UStG keine offen ausgewiesene Umsatzsteuer. Die KG erklärte die auf die Umsätze entfallende Umsatzsteuer bei ihrem zuständigen Finanzamt und führte die Beträge ab.
Mit Schreiben vom xx. März 2014 beantragte die KG bei dem für sie zuständigen Finanzamt unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 22. August 2013 V R 37/10, nicht mehr Steuerschuldnerin für diesen Umsatz zu sein, die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2010 und 2011 zu ändern und die entrichteten Steuerbeträge zu erstatten. Nachdem das für die KG zuständige Finanzamt diesen Sachverhalt mit Schreiben vom xx. Oktober 2014 dem Antragsgegner mitgeteilt hatte, wurde die Antragstellerin mit Schreiben vom xx. November 2014 darauf hingewiesen, dass sie nunmehr diesen Umsatz als leistender Unternehmer zu versteuern habe. Weiterhin habe die Antragstellerin nach Auffassung des Antragsgegners Rechnungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG mit gesondertem Ausweis der gesetzlichen Umsatzsteuer zu erstellen. Die Antragstellerin wurde ferner darauf hingewiesen, dass sie die sich aus den berichtigten Rechnungen gegenüber der KG entstehenden Ansprüche auf Zahlung der Umsatzsteuer an den Antragsgegner abtreten könne.
Da in der Folgezeit die Antragstellerin auf dieses Schreiben nicht reagierte, erließ der Antragsgegner am xx. April 2015 für die beiden Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide, wobei er die steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätze zum allgemeinen Steuersatz um 2.118,91 € bzw. 588,70 € erhöhte. Mit den beiden Änderungsbescheiden wurden die Umsatzsteuererklärungen der Antragstellerin geändert, die beim Antragsgegner am xx. Juli 2012 und xx. Januar 2014 eingegangen waren.
Gegen diese Bescheide erhob die Antragstellerin Einspruch. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass sie sich auf die Vertrauensschutzregelung in § 176 Abs. 2 AO berufen könne. Die Regelung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG n. F. stelle eine verfassungsrechtlich unzulässige Regelung mit Rückwirkung dar. Hätte der Antragsgegner zeitnah nach der Veröffentlichung über die Frage der Inanspruchnahme der Subunternehmer aufgrund der neuen Rechtsprechung des BFH entschieden, so wäre der in § 176 Abs. 2 AO geregelte Vertrauensschutz unstreitig einschlägig gewesen. Es sei nicht zumutbar, dass dem Unternehmer durch die Neuregelung das wirtschaftliche Risiko aufgebürdet werde, wenn sein Leistungsempfänger entweder zahlungsunfähig geworden sei oder aber die Einrede der Verjährung erhebe. Über den Rechtsbehelf hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.
Den am xx. Mai 2015 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der beiden angefochtenen Verwaltungsakte lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom xx. Juni 2015 ab. Nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG n. F. seien die ursprünglichen Steuerfestsetzungen für die beiden Streitjahre zwingend zu ändern. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung bestünden nicht. Im Streitfall seien überdies individuelle Belange der Antragstellerin (Vermeidung irreparabler persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteile infolge der Steuerzahlung), die fiskalischen Erwägungen (Interesse an einer geordneten Haushaltsführung) vorgingen, nicht erkennbar. Von der Möglichkeit der Abtretung habe die Antragstellerin keinen Gebrauch gemacht.
Mit ihrem bei Gericht gestellten Eilantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg habe mittlerweile erhebliche verf...