vorläufig nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Polnischer Staatsbürger in Deutschland: Kindergeld für in Polen lebende Tochter

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird im Inland kein Kindergeld gezahlt, sofern für das Kind im Ausland Kindergeld oder vergleichbare Leistungen bewilligt werden.
  2. Nämliches gilt, wenn die ausländischen Leistungen bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären.
  3. Hat eine Kindesmutter in Polen keinen Anspruch auf Kindergeld, kommt weder eine Anrechnung fiktiven polnischen Kindergeldes noch eine hälftige Kürzung des inländischen Kindergeldanspruchs in Betracht.
 

Normenkette

EStG §§ 65, 70 Abs. 2; EWGV 1408/71 Art. 12 Abs. 2, Art. 76

 

Streitjahr(e)

2008

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Familienkasse für das bei der (vom Kläger getrennt lebenden) Kindesmutter in Polen lebende Kind J ab September 2008 Kindergeld nur in Höhe des hälftigen deutschen Kindergeldes festsetzen durfte.

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Nach Aktenlage ist er seit dem 3. November 1998 in Deutschland angemeldet und unterliegt der deutschen Sozialversicherung (vgl. Beschluss des Marschallamtes der westpommerischen Woiwodschaft vom 16. März 2010). Er war zunächst in Deutschland sozialversicherungspflichtig als Arbeitnehmer beschäftigt. Im streitbefangenen Zeitraum ab September 2008 erhielt er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Die Tochter des Klägers, J, geboren am 23. Januar 2002, lebt bei der vom Kläger getrennt lebenden Kindesmutter (Frau D G-L) in Polen. Nach Aktenlage ist die Kindesmutter seit dem 1. Januar 2009 arbeitslos. Der Kläger und die Kindesmutter sind nicht verheiratet. Der Kläger zahlt freiwillig Kindesunterhalt. Wegen eines fehlenden Unterhaltstitels erhält die Kindesmutter, die von der zuständigen polnischen Behörde für Familienleistungen als unverheiratete, alleinerziehende Person angesehen wird, in Polen keine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Familienleistungen.

Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 18. August 2008 änderte die Beklagte die zuvor bestehende Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und setzte ab September 2008 das monatliche Kindergeld auf 77 € herab. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die nationalen Ansprüche zweier Staaten (Deutschland und Polen) aufeinandertreffen. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung der Beklagten stehe dem Kläger bzw. der getrennt lebenden Kindesmutter neben dem deutschen Kindergeld für die gemeinsame Tochter J auch noch Kindergeld in einem weiteren Mitgliedsstaat der EU, Polen, zu. Bei zwei Familienleistungen, die sich nach nationalen Rechtsvorschriften gegenseitig ausschließen würden, sei nach Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 zwar das deutsche Kindergeld zu zahlen, jedoch nur noch zur Hälfte.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Es sei unrichtig, dass für sein Kind J in Polen ein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Mit Bescheid vom 20. Januar 2006 habe die zur Bewilligung von Familienleistungen zuständige polnische Behörde den Antrag der Kindesmutter auf eine mit dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung abgelehnt. Danach bestehe kein Anspruch auf Kindergeld, wenn die Person, die alleine ein Kind betreue, keinen gerichtlich festgestellten Unterhaltsanspruch, also keinen Unterhaltstitel, gegen den anderen Elternteil habe. Da die Kindesmutter keinen Unterhaltstitel vorlegen habe können, weil der Kläger freiwillig Unterhalt gezahlt habe, stehe ihr kein Anspruch auf eine dem Kindergeld vergleichbare polnische Leistung zu. Da der Kläger für seine Tochter J nur nach Deutschem Recht einen Anspruch auf Kindergeld habe, seien die Voraussetzungen der Verordnung (EWG) 1408/71 (VO) sowie Art. 76 - 79 VO und des Art. 10 DVO über die Konkurrenz zwischen Kindergeldansprüchen verschiedener Mitgliedsstaaten nicht erfüllt. Die Entscheidung der polnischen zuständigen Behörde sei zu respektieren. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger verschiedene Ablehnungsbescheide vorgelegt (vom 20. Januar 2006 betr. Anspruchs auf Familienbeihilfe und den Zuschlag zur Familienbeihilfe aufgrund alleiniger Erziehung für das Kind ab dem 1. Januar 2006; Bescheid vom 12. August 2009 bzgl. des Zeitraums ab dem 1. August 2009; Bescheid vom 16. März 2010 betr. Kindergeld im Zeitraum 1. November 2009 bis 31. Oktober 2010). Darüber hinaus hat er ein Schreiben der polnischen Kindergeldbehörde vom 22. Januar 2010 vorgelegt. In diesem Schreiben wird bestätigt, dass es in den Jahren 2007 und 2008 Anträge auf Feststellung des Anspruchs auf Familienleistungen gegeben habe. Die Kindesmutter habe in dem Zeitraum 1. Juni 2006 bis 20. Februar 2009 keinen Anspruch auf Familienleistungen gehabt und die Gewährung der Leistungen für die Tochter J seien auch nicht beantragt worden. Im Ergebnis sei damit nachgewiesen, dass die Kindesmutter ...

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