rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
„Bestimmter” Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Zu den Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO.
- Die irrige Beurteilung eines Sachverhalts i.S. des § 174 Abs. 4 AO bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist. Sachverhalt in diesem Sinne ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft.
- Der Begriff des „bestimmten Sachverhalts” ist nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex.
- Ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat, ist unerheblich.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4
Streitjahr(e)
1991, 1992
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte eine Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 AO hatte und deshalb trotz Bestandskraft und Festsetzungsverjährung der Bescheide in den Streitjahren 1991 und 1992 einen Entnahmegewinn bei den Einkünften des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft gewinnerhöhend berücksichtigen durfte.
Die Kläger sind in den Streitjahren 1991 und 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger betrieb in den Streitjahren Landwirtschaft. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Das Wirtschaftsjahr war das Regelwirtschaftsjahr vom 1. Juli bis zum 30. Juni. Zum Betriebsvermögen des Betriebs gehörte auch die Hofstelle in B. Das auf dem Grundstück befindliche alte Wohnhaus mit 228 qm Wohnfläche bewohnten die Kläger bis zum Herbst 1986 zusammen mit ihren Kindern X und Y in einer 153 qm großen Wohnung, sowie der Altenteilerin in insgesamt 75 qm großen Räumen. Im Herbst 1986 bezogen die Kläger ein neu errichtetes Wohnhaus auf demselben Grundstück. Der X bewohnte die alte Wohnung der Kläger seither zunächst allein und ab 1987 mit seiner Ehefrau. Vorher hatte er dort Räume mit einer Fläche von 40 qm genutzt.
X arbeitete seit 1985 in dem Betrieb des Klägers. Aufgrund eines mündlich geschlossenen Arbeitsvertrags überließ der Kläger dem Sohn zunächst die Räume von 40 qm Fläche und später die 153 qm große Wohnung bei voller Kost, versteuerte von 1985 bis Oktober 1989 diesen Vorteil als Sachbezug und unterwarf ihn dem Lohnsteuerabzug. Ab November 1989 unterließ der Kläger die Sachbezugsversteuerung.
Zum 1. Juli 1992 gründeten der Kläger und sein Sohn eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Zweck dieser Gesellschaft war u.a. die Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs des Klägers. Der Kläger brachte seinen Betrieb jedoch nicht in das Gesamthandvermögen der GbR ein, sondern behielt es als Sonderbetriebsvermögen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 24. Juni 1992 (Bl. 63 - 68 d. Gerichtsakte) Bezug genommen.
Zum 1. Juli 1998 wurde die GbR beendet, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt seinen Hof an seinen Sohn übergab.
In ihren Einkommensteuererklärungen erklärten die Kläger den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft gemäß den Gewinnermittlungen. In den Bilanzen des landwirtschaftlichen Betriebs war, wie auch in den Vorjahren, die Hofstelle als Betriebsvermögen ausgewiesen. Gewinne aus der Entnahme von Teilen der Hofstelle waren nicht erfasst.
Der Beklagte veranlagte erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Im Jahre 1995 begann eine Außenprüfung für die Jahre 1990 bis 1992. Im Anschluss an diese Außenprüfung erfasste der Beklagte für das Wirtschaftsjahr 1989/90 einen Entnahmegewinn aus der Entnahme der vom X genutzten Wohnung in Höhe von 132.390 DM. Der Beklagte kam mit dem Betriebsprüfer zu der Auffassung, die Wohnung sei im November 1989 aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden und Privatvermögen geworden, weil der Kläger die Wohnung ab diesem Zeitpunkt an X unentgeltlich überlassen habe. Er habe nämlich keinen Sachbezug mehr versteuert. Der Beklagte änderte die Einkommensteuerbescheide 1989 und 1990, indem er die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft jeweils um den hälftigen Entnahmegewinn von 132.390 DM, mithin 66.195 DM erhöhte.
Hiergegen richtete sich das beim 12. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts geführte Klageverfahren 12 K 732/96. Durch Urteil vom 29. August 2002 gab das Gericht der Klage mit der Begründung statt, das Grundstück in B sei auch nach Oktober 1989 Betriebsvermögen des Klägers geblieben. Insoweit sei die Wohnung als Landarbeiterwohnung anzusehen, die zum notwendigen oder zumindest zum gewillkürten Betriebsvermögen des Klägers gehöre. Denn X habe auch über den November 1989 hinaus im Betrieb des Klägers gearbeitet. An den tatsächlichen Gegebenheiten habe sich nichts dadurch geändert, dass der Kläger die Sachbezugsversteuerung unterlassen habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen.
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