vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [VIII R 31/19)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Festsetzungsfrist bei Abgabe der Steuererklärung beim unzuständigen Finanzamt

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Abgabe einer wirksamen Einkommensteuererklärung beim lediglich für die gesonderte Feststellung zuständigen Finanzamt bewirkt gleichwohl die Beendigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, wenn diese vom Finanzamt nach den Gesamtumständen des Streitfalls als Einkommensteuererklärung hätte verstanden werden müssen und die Finanzbehörde dadurch in die Lage versetzt worden ist, das Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren ordnungsgemäß einzuleiten.

 

Normenkette

AO 1977 § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 171 Abs. 10, 3, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1; BGB § 133

 

Streitjahr(e)

2010

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.12.2021; Aktenzeichen VIII R 31/19)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage der Berechtigung des Beklagten zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2010 und hierbei insbesondere über den Eintritt der Festsetzungsverjährung zum 31.12.2015.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des M (Insolvenzschuldner). Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde am xx.xx.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger auf Beschluss des Insolvenzgerichts zum Insolvenzverwalter bestellt. Am xx.xx.2010 verstarb der Insolvenzschuldner. Das Insolvenzverfahren wurde infolge des Todes des Insolvenzschuldners in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet. Das Aktenzeichen des Nachlassinsolvenzverfahrens lautet (…).

Der Insolvenzschuldner war Architekt und – soweit ersichtlich – bis 2005 Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ”W“. Nach dem Ausscheiden des Mitgesellschafters im Jahr 2005 führte der Insolvenzschuldner das Architekturbüro als Einzelunternehmen W & P fort und erzielte hieraus Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit wurden (weiterhin) beim Finanzamt H unter der Steuernummer AA/BB/CCCCC gesondert festgestellt. Die Einkommensteuerveranlagung erfolgte beim Beklagten unter der Steuernummer DD/BB/EEEEE.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilte das Finanzamt H zur umsatzsteuerlichen Abwicklung des Insolvenzverfahrens - insbesondere für nachträgliche Honorarzahlung der Y-GmbH - ab Juni 2008 die Steuernummer AA/BB/FFFFF. Die Abgabe der Umsatzsteuererklärungen und die Festsetzung der Umsatzsteuer durch das Finanzamt H erfolgten im Weiteren unter dieser Steuernummer.

Nach dem Tod des Insolvenzschuldners erließ der Beklagte am 07.04.2011 - zeitgleich mit der Vornahme der Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 2008 und 2009 - einen Einkommensteuerbescheid für 2010, in welchem er die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 0 € schätzte. Hieraus ergab sich eine festgesetzte Einkommensteuer 2010 von 0 €. In den Erläuterungen zum Bescheid, führte der Beklagte aus, dass die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt worden seien, da trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Ferner weist der Beklagte auf die weiterhin bestehende Erklärungspflicht hin. Der Bescheid erging endgültig und wurden dem Kläger als Insolvenzverwalter bekannt gegeben.

Bereits zuvor hatte das Finanzamt H den Kläger am 10.03.2011 mit standardisiertem Anschreiben zur termingebundenen Abgabe der Erklärung über die gesonderte Feststellung der Einkünfte für das Jahr 2010 zum 31.07.2011 aufgefordert. Nach mehrfacher, sich hieran anschließender telefonischer Kontaktaufnahme bat die Steuerberaterin des Klägers mit Schreiben vom 15.09.2011 unter dem Betreff ”Erstellung der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG per 31.12.2010 nebst Steuererklärung der Firma W & P, Steuernummer AA/BB/FFFFF“ um Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2010 bis zum 31.12.2011. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt H mit Schreiben vom 19.09.2011 ab. Hierzu führte es aus, dass der Antrag unter der Steuernummer AA/BB/FFFFF gestellt, die Steuererklärung für die Umsatzsteuer jedoch bereits eingereicht worden sei. Es fehle die Gewinnermittlung. Darüber hinaus führte das Finanzamt H wörtlich aus: ”Eine Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung zu der Steuernummer AA/BB/CCCCC kann, wie bereits telefonisch mehrfach mitgeteilt, nicht gewährt werden, da die Erklärung bevorzugt zum 31.07.2011 angefordert wurde.“

Nachdem die Abgabe der Steuererklärungen weiter ausblieb, schätzte das Finanzamt H mit Bescheid vom 22.09.2011 die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ”W& P“ unter Berücksichtigung der vorliegenden Umsatzsteuererklärung und der dazugehörigen Belege im Rahmen einer gesonderten Feststellung des Gewinns 2010 auf 1.650.000 €. Zeitgleich erhielt der Beklagte eine entsprechende Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung 2010, die durch diesen jedoch nicht ausgewertet wurde.

Am 19.10.2011 reichte die Steuer...

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