rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Beweisvereitelung durch die Beseitigung von Briefumschlägen fristwahrender Schriftsätze
Leitsatz (redaktionell)
- Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Stpfl. nicht zu vertreten hat und auf die er keinen Einfluss besitzt, dürfen nicht als dessen Verschulden gewertet werden.
- Der Bürger kann darauf vertrauen, dass die von der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten bei Inlandsbeförderung auch eingehalten werden.
- Durch die Beseitigung des Briefumschlages, auf dem der Poststempel der Deutschen Post den Eingang im Postbereich dokumentiert und aus dem die Rechtzeitigkeit des Einwurfs entnommen werden kann, wird die Aktenkundigkeit der für eine Wiedereinsetzung erforderlichen Tatsachen verhindert.
- Vereitelt oder erschwert ein Beteiligter dem anderen die Benutzung eines Beweismittels, so führt das gem. § 44 ZPO zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr.
- Dieser Rechtsgedanke ist auch im Fall der Wiedereinsetzung auf die Frage der Aktenkundigkeit von Tatsachen anzuwenden. Bewahrt die Finanzbehörde Briefumschläge von fristwahrenden Schriftsätzen nicht auf, aus denen sich die Tatsachen für eine Wiedereinsetzung ergeben können, muss sie sich so behandeln lassen, als ob sie den Briefumschlag zu den Akten genommen hätte.
Normenkette
AO §§ 110, 122 Abs. 2, § 355 Abs. 1; ZPO § 444
Streitjahr(e)
1991
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte der Klägerin im Einspruchsverfahren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren musste.
Die Klägerin legte durch ihren Steuerberater Einspruch mit Schreiben vom 23.01.1998 gegen den mit einfachen Brief bekanntgegebenen Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 29.12.1997 ein. Das Einspruchsschreiben ging nach dem auf den Schreiben angebrachten Eingangsstempel des Beklagten am Dienstag, den 03.02.1998, ein. Mit Kurzmitteilung vom 08.04.1998 teilte der Beklagte dem Steuerberater mit, dass der Einspruch noch nicht abschließend hätte bearbeitet werden können und er weitere Nachricht bis zum 10.05.1998 erhalte.
Im Januar 2001 meldete sich der Beklagte erstmals wieder beim Steuerberater und wies diesen auf den verspäteten Eingang des Einspruchs hin. Daraufhin erklärte der Steuerberater der Klägerin mit Schreiben vom 30.01.2001, dass der Einspruch gemäß Vermerk im Postausgangsbuch am 30.01.1998 zur Post gegeben worden sei und damit innerhalb des Ortes nach normaler Postbeförderung spätestens am 02.02.1998 beim Beklagten hätte eintreffen müssen. Eine Kopie des Postausgangsbuches reichte der Steuerberater nach.
Der Beklagte verwarf den Einspruch durch Einscheidung vom 17.10.1998 als unzulässig. Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, der Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1991 sei rechtzeitig am 30.01.1998 von einem Angestellten des Steuerberaters in den nächstliegenden Postkasten zwischen 16.00 und 16.15 Uhr eingeworfen worden. Dieser Briefkasten werde montags bis freitags um 16.30 Uhr und samstags um 11.30 Uhr geleert. Bei normaler Postbeförderung innerhalb des Ortes hätte der Einspruch folglich am Montag, den 02.02.1998 beim Finanzamt eingehen müssen. Dies wäre rechtzeitig gewesen, so dass weder die Klägerin noch ihren Steuerberater ein Verschulden an der Versäumung der Frist treffe. Auf die Versäumung der Jahresfrist könne sich das Finanzamt aufgrund seines vorhergehenden Verhaltens nicht berufen.
Die Klägerin beantragt,
den Einspruchsbescheid vom 17.Oktober 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt der Beklagte aus, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei. Auf ein Verschulden der Klägerin oder des Vertreters komme es nicht an, weil innerhalb der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO kein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden sei. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen sei ausgeschlossen, weil die maßgebenden Wiedereinsetzungsgründe nicht aus den Akten erkennbar gewesen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 15.04.2002 (Bl. 32 FGA) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet. Der Einspruchsbescheid verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da der Beklagte zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat.
1. Der Einspruch wurde von der Klägerin zwar verspätet eingelegt. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Nach unstreitigem Sachverhalt hat der Beklagte den Körperschaftsteuerbescheid 1991 am 29. Dezember 1997 mit einfachem Brief zur Post gegeben. Er gilt damit gemäß § 122 Abs. 2 AO am 01. Januar 1998 als bekannt gegeben. Die einen Monat betragende Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO 1977) lief damit am Montag den 2. Februar 1998 ab (§ 108 Abs. 1 AO...