Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtabwarten des Ausgangs eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen Grundlagenbescheid als Ermessensfehler
Leitsatz (redaktionell)
Trifft das Finanzamt in einem Einspruchsverfahren betr. Einkommensteuer keine Erwägungen, ob das Einspruchsverfahren ggf. wegen eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens gegen einen Grundlagenbescheid auszusetzen ist, liegt wegen Nichtausübung des Ermessens ein Ermessensfehler vor.
Normenkette
AO § 363 Abs. 1, § 171 Abs. 10, § 175
Streitjahr(e)
2000
Tatbestand
Die Parteien streiten, ob das Finanzamt Einsprüche abschlägig bescheiden durfte.
Die Klägerin war in den Streitjahren an einer Bauherrengemeinschaft beteiligt. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hieraus stellte das beklagte Finanzamt für das Jahr 2000 gesondert fest. Hiergegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
Das Finanzamt veranlagte die Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer, wobei es die festgestellten Einkünfte aus der Bauherrengemeinschaft zugrunde legte. Es trug ferner einen Verlust aus dem Folgejahr zurück, so dass sich auf den 31.12.2001 kein Verlustvortrag mehr ergab (Einzelheiten siehe Verlustfeststellungsbescheid vom 31.12.2001, GA Bl. 7). Die Kläger machten mit Einsprüchen gegen den Verlustfeststellungsbescheid und den Einkommensteuerbescheid unter Hinweis auf die Einspruchverfahren in der Feststellungssache geltend, das Finanzamt habe die Einkünfte aus der Baugemeinschaft unzutreffend hoch errechnet. Die Einkommensteuer müsse niedriger festgesetzt werden; der Verlustrücktrag falle sodann niedriger aus, so dass sich auf den 31.12.2001 ein Verlustvortrag ergebe.
Das Finanzamt wies die Einsprüche gegen den Einkommensteuerbescheid und den Verlustfeststellungsbescheid als unbegründet zurück. Über die Anteile der Kläger an den Einkünften der Baugemeinschaften könne nicht in den anhängigen Verfahren - Einsprüche gegen den Einkommensteuerbescheid und Verlustfeststellungsbescheid - sondern nur in dem Verfahren über den Feststellungsbescheid der Baugemeinschaft (Grundlagenbescheid) befunden werden. Soweit dieser Grundlagenbescheid sodann geändert werde, werde das Finanzamt auch die Folgebescheide von sich aus ändern. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsbescheide verwiesen (GA Bl. 11 bis 16).
Die Kläger meinen, das Finanzamt könne die Einkommensteuer nicht in dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Umfange beanspruchen, ebenso sei die Verlustfeststellung unzutreffend. In dem Feststellungsbescheid der Baugemeinschaft habe das FA die Werbungskosten zu niedrig angesetzt.
Die Kläger beantragen,
wie erkannt zu entscheiden.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat das Finanzamt darauf hingewiesen, dass es das Einspruchsverfahren gemäß § 363 AO möglicherweise hätte aussetzen müssen und eine Aufhebung der Einspruchsbescheide angeregt. Darauf hat das Finanzamt erwidert, es sehe hierzu keinen Anlass, denn hierfür gebe es keine Rechtsgrundlage (Einzelheiten siehe Schriftsatz vom 27.08.2003, GA Bl. 39).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Einspruchsbescheide sind ermessensfehlerhaft ergangen.
Nach § 363 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) kann das Finanzamt die Entscheidung eines Rechtsstreites aussetzen, wenn die Entscheidung von dem „Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses” abhängt, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet. Eine solche Abhängigkeit besteht hier, da nach § 175 AO die mit Einspruch angefochtenen Bescheide zu ändern wären, sofern sich im Laufe der Einspruchsverfahren gegen den Feststellungsbescheid der Baugemeinschaft eine Änderung ergibt. Für diesen Fall hat das Finanzamt im Einspruchsverfahren gegen die Folgebescheide zu erwägen, ob es den Abschluss des Rechtsbehelfverfahrens gegen den Grundlagenbescheid abwartet, weil es anderenfalls die Einkommensteuer möglicherweise unzutreffend hoch festgesetzt hat und einen Verlustvortrag feststellen müsste. Das Finanzamt hat diese Erwägungen jedoch nicht angestellt. Es hat sich vielmehr ausschließlich an den Feststellungsbescheid gebunden gefühlt und die Möglichkeit einer Aussetzung der Einspruchsverfahren überhaupt nicht in Betracht gezogen, wie sich noch aus seinem Schriftsatz vom 27.08.2003 ergibt. Damit hat das Finanzamt ermessensfehlerhaft gehandelt, den es hat ein ihm eingeräumtes Ermessen nicht genutzt. Da es diese Erwägungen bis zur Entscheidung des Gerichts auch nicht ergänzt hat, waren die Einspruchsentscheidungen aufzuheben (§ 102 Satz 2 FGO).
Im gleichen Sinne hat der BFH für den inhaltsgleichen § 74 FGO entschieden, dass die Gerichte das Verfahren aussetzen können, bis der Grundlagenbescheid bestandskräftig geworden ist (ständige Rechtsprechung BFH-Urteile vom 27.09.1972, I B 27/72, BStBl. II 1973, 24; vom 26.07.1983, VIII R 28/79, BStBl II 1984, 290; vom 12.11.1985, IX R 85/82, BStBl II 1986, 239; vom 09.06.1999, I R 92/98, BStBl II 1999, 733, alle m.w.N.). Dabei sei es „regelmäßig geboten und zweckmäßig”, den Rechtsstreit ...