Rz. 14
Schuldrechtliche und dingliche Nutzungsrechte ruhen – zivilrechtlich gesehen – auf unterschiedlichen Pfeilern; ob diese Unterscheidung nun auch hinsichtlich der bilanz- und steuerrechtlichen Beurteilung getroffen werden muss, ist in der Literatur umstritten. Die zivilrechtliche Differenzierung zwischen der dinglichen und der schuldrechtlichen Nutzungsrechtsvariante beruht auf der "güterzuordnenden Funktion der dinglichen Rechte" und der ausschließlichen Begründung von Leistungsbeziehungen zwischen zwei Rechtssubjekten im Fall obligatorischer Nutzungsrechte. Für die Festlegung der daraus resultierenden Unterschiede zu Zwecken der Bilanzierung und Besteuerung werden die Abspaltungs- und die Duldungstheorie herangezogen, die die Entstehung der Nutzungsrechte rechtsdogmatisch begründen.
Rz. 15
Die Abspaltungs- oder Splittertheorie geht davon aus, dass vom umfassenden Recht des Eigentums das Nutzungsrecht in der Weise abgespalten wird, dass beim Eigentümer lediglich ein Substanzrecht zurückbleibt. Die Fiktion der Entstehung des Nutzungsrechts bereits beim Eigentümer des Gegenstands und der nachfolgenden Übertragung auf den Nutzenden erlaubt die Annahme eines derivativen Erwerbs. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Splittertheorie auch steuerlich wie im Zivilrecht nur auf dingliche Nutzungsrechte oder zusätzlich auf obligatorische Nutzungsrechte anwendbar ist; bei Zugrundelegung der letzteren Ansicht ließe sich eine bilanzielle und steuerliche Ungleichbehandlung der zivilrechtlich unterschiedlichen Nutzungsrechtsarten auf rechtsdogmatischer Grundlage jedoch nicht rechtfertigen.
Gegen die Geltung der Abspaltungstheorie spricht, dass beide zivilrechtlichen Konstruktionen eine selbstständige Rechtsposition gewähren, die "nicht einen Ausschnitt aus dem Eigentum darstellt". Wird bei zivilrechtlicher Betrachtungsweise auf die tendenziell stärkere Rechtsposition der dinglichen Nutzungsrechte abgestellt, so stellt sich dennoch die Frage, ob sich aus dieser Struktur ein grundsätzlicher bilanzierungserheblicher Unterschied ergibt, zumal bereits kleinere Änderungen in der Vereinbarung schuldrechtlicher Nutzungsrechte diese Unterschiede relativieren können.
Rz. 16
Die Duldungstheorie stellt die Pflicht des Nutzungsüberlassers als maßgebliches Kriterium zur Unterscheidung dinglicher und schuldrechtlicher Nutzungsrechte in den Vordergrund. Demnach ist der zivilrechtliche Eigentümer beim dinglichen Nutzungsrecht nur verpflichtet, die Nutzung zu dulden; obligatorische Nutzungsrechte müssen dagegen aktiv gewährt werden. Das Nutzungsrecht selbst erklärt sich im Gegensatz zur Abspaltungstheorie nicht als Rechtssplitter des Eigentums, sondern es beruht auf einer "Verdoppelung des Inhalts des Eigentumsrechts"; auf Seiten des Nutzenden entsteht ein neues Recht.
Rz. 17
Bei beiden zivilrechtlich begründeten Theorien ist fraglich, ob sie für Zwecke der Bilanzierung und Besteuerung herangezogen werden sollen; entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob zwischen dinglichem und schuldrechtlichem Nutzungsrecht ein bilanzerheblicher Unterschied besteht, wobei bestehende zivilrechtliche Unterschiede auf ihre Relevanz im Hinblick auf den zu lösenden Sachverhalt zu untersuchen sind. Zwar sind beide Theorien geeignet, die Entstehung von Nutzungsrechten zivilrechtlich zu erklären, allerdings begründen sie keinen wirtschaftlichen Unterschied zwischen beiden Varianten. Legt man eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde, die sich am typischen betrieblichen Geschehensablauf bei Anerkennung des Grundsatzes des Going concern orientiert, so ist hier einer möglichen Differenzierung der Boden entzogen. Auch die Rechtsprechung geht mittlerweile von der Gleichbehandlung schuldrechtlicher und dinglicher Nutzungsrechte aus.