Leitsatz (amtlich)
1. Gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ist in Verfahren der Insolvenzordnung dem Richter dieses (nur) bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters vorbehalten. Verwalterwechsel im laufenden Verfahren, etwa nach § 59 InsO aus wichtigem Grund oder im Wege der Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten anderen Insolvenzverwalters gem. § 57 S. 3 InsO, obliegen dem Grundsatz von § 3 Nr. 2 e) RPflG folgend dem Rechtspfleger, denn der Gesetzgeber hat die jeweiligen funktionellen Zuständigkeiten zeitraumbezogen geregelt.
2. Bei einem Start-Up Unternehmen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose i.S.d. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 20.07.2021, I-12 W 7/21 und 17.01.2022, I-12 W 17/21).
3. Die Rückwirkung der Zustellung der Klage des Insolvenzverwalters tritt nach § 167 ZPO auch dann ein, wenn - aufgrund eines Verschuldens im gerichtlichen Bereich - nicht die innerhalb der gehemmten Verjährungsfrist eingereichte Klage des Amtsvorgängers, sondern die des zwischenzeitlich bestellten Amtsnachfolgers zugestellt wird, sofern das Anspruchsbegehren identisch ist.
4. Gegenüber dem Ersatzanspruch des Insolvenzverwalters aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. kann sich der Geschäftsführer nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Auskunftsanspruchs zur Vorbereitung behaupteter Schadensersatzansprüche aus einer nicht der DSGVO entsprechenden Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Verwertung der Insolvenzmasse berufen, da die Ansprüche nicht in einem so engen Zusammenhang stehen, dass die Geltendmachung und Durchsetzung des einen ohne den anderen treuwidrig wäre (Anschluss an Senatsbeschluss vom 22.12.2022 - I-12 U 46/22).
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nrn. 1, 14, § 273; DSGVO Art. 15, 82; GmbHG a.F. § 64 S. 1; InsO § 19 Abs. 2 S. 1, §§ 57, 59; RPflG § 3 Nr. 2 e), § 18 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 167
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 23.11.2022 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43.441,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2022 zu zahlen.
Dem Beklagten bleibt vorbehalten, nach Erstattung des Betrags an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, die die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger zu verfolgen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Erstattung von Zahlungen, die nach dem geltend gemachten Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin von ihren kreditorischen Konten vorgenommen worden sind.
D. V. gründete am 23.06.2014 die R. GmbH, die später umfirmierte in die S. GmbH (im Folgenden Schuldnerin). Er hielt sämtliche Geschäftsanteile der Schuldnerin, davon 12 % bis zum 03.12.2015 treuhänderisch für den Zeugen Dr. H. (Anlage K 13, Bl. 190 ff. GA-LG). Zu einem späteren Zeitpunkt erwarb der Zeuge Dr. H. 88 % der Geschäftsanteile und schenkte sie seiner Tochter. Der Beklagte war seit der Gründung bis Anfang März 2016 Geschäftsführer der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war ein Start-Up Unternehmen und wollte ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge, ähnlich der heute bekannten Plattform "hey-car", etablieren. Sie investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software für eine Automobil-Börse. Die Schuldnerin finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen des Investors und Zeugen Dr. H. Dieser hatte der Schuldnerin beginnend ab dem 10.07.2014 regelmäßig Darlehen "zur Stärkung des Eigenkapitals ... in der Gründungsphase des Unternehmens ... als Mezzanine Kapital" gewährt (Anlagenkonvolut K 8, Bl. 58 ff. GA-LG). Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Bis Ende 2015 beliefen sich die Darlehensforderungen des Zeugen Dr. H. bereits auf insgesamt 608.000 EUR. Sie wuchsen bis zum 20.07.2016 weiter an auf insgesamt 778.000 EUR.
In dem am 13.10.2015 festgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 125.800 EUR ausgewiesen (Anlage K 4, Bl. 31 ff. GA-LG). Im Jahr 2015 erzielte die Schuldnerin lediglich Umsätze in Höhe von rund 12.000 EUR und erwirtschaftete einen Verlust von 494.357,68 EUR (GuV vom 01.01.2015 bis 31.12.2015, Anlage K 5, Bl. 39 GA-LG), was zu einer Erhöhung des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags auf rund 620.200 EUR zum 31.12.2015 (Anlage K 5, Bl. 38 GA-LG) führte.
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