Anforderungen an die Fortführungsprognose bei Start-Ups
Hintergrund
Der Beklagte war Geschäftsführer und Gesellschafter des später insolventen Start-Ups. Das Start-Up wurde im November 2013 gegründet und war sowohl durch Eigenkapital wie auch Fremdkapital finanziert. U.a. hatte die Gesellschafterin E mehrere Darlehen gewährt und auch eine sog. weiche Patronatserklärung gegenüber der Schuldnerin abgegeben. Zum 31.12.2014 wies der Jahresabschluss des Start-Ups ein negatives Eigenkapital von etwa 31.000 EUR aus. Und im April 2017 stellte der Beklagte für das Start-Up letztendlich Insolvenzantrag. Nach Ansicht des klagenden Insolvenzverwalters war das Start-Up spätestens zum 01.01.2015 insolvenzreif. Der Kläger verlangt daher vom Beklagten die Erstattung von Zahlungen in Höhe von etwa 58.000 EUR, da diese noch nach Eintritt der Insolvenzreife getätigt worden seien, § 64 S. 1 GmbHG a.F.
Der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 9. Februar 2022 (Az. 12 U 54/21)
Das OLG Düsseldorf gab letztendlich dem Kläger Recht und entschied, dass das Start-Up spätestens zum 31.12.2014 insolvenzreif gewesen sei; denn eine rechnerische Überschuldung habe vorgelegen und eine positive Fortführungsprognose habe nicht bestanden. Bei einer positiven Fortführungsprognose müsse überwiegend wahrscheinlich sein, dass das Unternehmen seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungen wird begleichen können. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Zwar sei zu berücksichtigen, dass bei einem Start-Up verbindliche Finanzierungszusagen häufig kurzfristig erteilt werden. Daher könne bei Start-Ups im Einzelfall auch auf eine erfolgversprechende Marktentwicklung mit abgestellt werden. Dies setze aber voraus, dass überhaupt eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept vorliege. Denn sei auch längerfristig nicht zu erkennen, dass das Start-Up eigene Erträge erzielen wird, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Investor – ohne eine bereits bestehende verbindliche Zusage – weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung stellen werde. Im vorliegenden Fall fehle es an einer solchen Planung und eine weiche Patronatserklärung stelle noch keine verbindliche Finanzierungszusage dar.
Anmerkung
Eine Insolvenzantragspflicht besteht sowohl bei Zahlungsunfähigkeit als auch bei Vorliegen einer Überschuldung. Die Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne setzt voraus, dass zum einen eine rechnerische Überschuldung vorliegt und zum anderen keine sog. positive Fortführungsprognose besteht.
Gerade die Darstellung einer positiven Fortführungsprognose bereitet Start-Ups häufig Probleme. Denn eine positive Fortführungsprognose besteht nur, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Gesellschaft in den nächsten zwölf Monaten ihre fälligen Verbindlichkeiten wird begleichen können. Da dies bei Start-Ups häufig von dem Gelingen der nächsten Finanzierungsrunde abhängt, ist eine Prognose besonders schwierig. Dies hat auch die Rechtsprechung mittlerweile erkannt. Daher darf bei Start-Ups auch auf eine erfolgversprechende Marktentwicklung mit abgestellt werden, sofern nach einem nachvollziehbaren operativen Konzept künftig mit der Ertragsfähigkeit des Start-Ups zu rechnen ist.
Mit Blick auf das hohe Haftungsrisiko für die Geschäftsführung, kann die Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung durch das Vorweisen einer positiven Fortführungsprognose – trotz der gegenwärtigen Rechtsprechung – immer nur die zweite Alternative sein. Denn die Frage, ob eine positive Fortführungsprognose vorlag oder nicht, kommt nur auf, wenn es letztendlich nicht geklappt hat und das Start-Up insolvent ist. Liegt daher bei dem Start-Up eine rechnerische Überschuldung vor, sollte zunächst versucht werden, diese rechnerische Überschuldung auszuräumen. Bewährte Mittel sind die Vereinbarung von sog. qualifizierten Rangrücktritten oder von sog. internen harten Patronatserklärung; wobei auch bei diesen ein qualifizierter Rangrücktritt aufgenommen werden sollte. Ist ein Start-Up überwiegend fremdfinanziert, sollte ein solcher qualifizierter Rangrücktritt bereits von Anfang an, mit Darlehensgewährung, vereinbart werden. Denn gerade in der Anfangsphase sind laufende Verluste eingeplant, so dass das Unternehmen sich sofort – und zwar planmäßig – in einer rechnerischen Überschuldung befinden würde. Mit dem qualifizierten Rangrücktritt lässt sich dieses Risiko vermeiden.
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