Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Inkongruenz einer ihm gewährten Deckung. Voraussetzungen für die Annahme einer Benachteiligungsabsicht des Schuldners gegenüber dem Forderungsgläubiger

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Gewährung einer inkongruenten Deckung ist ein starkes Beweisanzeichen für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Benachteiligungsabsicht des Schuldners. Voraussetzung ist allerdings, dass der Anfechtungsgegner die Inkongruenz der ihm gewährten Deckung erkennt. Dafür genügt es, dass er die Umstände kennt, bei deren Vorliegen der Rechtsbegriff der Inkongruenz erfüllt ist.

 

Normenkette

AnfG § 10 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 25.08.2010; Aktenzeichen 3 O 23385/09)

BGH (Urteil vom 13.05.2004; Aktenzeichen IX ZR 128/01)

BGH (Entscheidung vom 29.11.1989; Aktenzeichen VIII ZR 228/88)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I, 3. Zivilkammer, vom 25.08.2010 aufgehoben.

Die Beklagten werden verurteilt, jeweils gegenüber der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Gera, Az. HL 208/08, die Anweisung zu erteilen, die dort seit Oktober 2008 hinterlegten Beträge der Drittschuldnerin A. Inkasso-Dienst GmbH, zur Auszahlung an den Kläger freizugeben.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des freizugebenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Freigabe Sicherheit in Höhe von 110% des freizugebenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Tatsächliche Feststellungen:

Der Kläger verlangt von den Beklagten die Zustimmung zur Freigabe hinterlegter Geldbeträge.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend hinzuweisen ist auf das bereits in erster Instanz vorgelegte Schreiben des Beklagten zu 1) vom 28.12.2008 an das Finanzamt Traunstein zur Motivation der Abtretung (Anlage K 8).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger beanstandet die Feststellungen des Landgerichts zur Priorität der Abtretung an die Beklagte zu 2). Eine inkongruente Deckung liege außerdem schon deshalb vor, weil der behauptete Darlehensanspruch jedenfalls überwiegend verjährt sei.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, gegenüber der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Gera, Az. HL 208/08, die Anweisung zu erteilen, die dort seit Oktober 2008 hinterlegten Beträge der Drittschuldnerin A. Inkasso-Dienst GmbH, zur Auszahlung an den Kläger freizugeben.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil. Zur Zeit der Abtretung habe außerdem schon deshalb keine Gläubigerbenachteiligungsabsicht bestanden, weil Steuerschulden, wie sie nunmehr gegenständlich sind, damals nicht ansatzweise nach Grund und Höhe bekannt gewesen seien.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.

Der Senat hat den Parteien mit Verfügung vom 19.11.2010 Hinweise gegeben (Bl. 88/89 d.A.)

Begründung:

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Er hat mit den Rügen zu den Feststellungen des Landgerichts zur Priorität der Abtretung und zum Vorliegen einer inkongruenten Deckung wegen Verjährung des behaupteten Darlehensanspruchs zulässige Berufungsrügen i.S.v. § 520 III ZPO erhoben.

Auch wenn diese Rügen nicht durchgreifen, ist damit der Weg zur Überprüfung der materiellen Richtigkeit des landgerichtlichen Urteils von Amts wegen eröffnet.

Denn ein mit der Berufung angefochtenes Urteil unterliegt, von den in § 529 II 1 ZPO bezeichneten Verfahrensmängeln abgesehen, der inhaltlich unbeschränkten, nicht an die geltend gemachten Berufungsgründe gebundenen Überprüfung auf Fehler bei der Anwendung formellen und materiellen Rechts (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. 2010, § 529 Rnr. 10, BGH NJW-RR 2005, 1071).

II. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. In der für ein Berufungsurteil gesetzlich vorgeschriebenen Kürze (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) wird hierzu ergänzend zum Urteil des Landgerichts, auf das Bezug genommen wird, folgendes ausgeführt:

1. Keine Priorität der Pfändung des Klägers

a) Zwar ist die Auffassung des Landgerichts, die Beklagten könnten sich gegenüber dem Kläger auf die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der privatschriftlichen Abtretungsvereinbarung Anlage K 5 berufen, nicht zutreffend.

Denn diese Vermutung wirkt nur zwischen den an dem entsprechenden Vertrag Beteiligten, nicht gegenüber Dritten wie dem Kläger (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. 2010, § 416 Rnr. 3). Insoweit gilt vielmehr der Grundsatz: „Papier ist geduldig”.

b) Gleichwohl ist das Landgericht im Ergebnis zu Recht von der Beweislast des Klägers ausgegangen.

Beim Prätendentenstreit um die Freigabe hin...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge