Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführer. GmbH. Insolvenzantragspflicht. Insolvenz. Haftung. Insolvenzverschleppung. Sozialabgaben. Arbeitnehmeranteil
Leitsatz (amtlich)
Der Geschäftsführer einer GmbH ist nicht zum Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 1 StGB verpflichtet, wenn er ab Eintritt der Insolvenzreife die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht mehr abführt. Er handelt jedenfalls ohne Schuld.
Leitsatz (redaktionell)
Der Geschäftsführer einer GmbH ist nicht zum Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 1 StGB verpflichtet, wenn er ab Eintritt der Insolvenzreife die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht mehr abführt. Er handelt jedenfalls ohne Schuld.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266a Abs. 1; GmbHG § 64
Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 19.01.2007; Aktenzeichen 6 O 628/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Dessau vom 19.1.2007 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der dort ergangenen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (Bl. 72 bis 75 d.A.).
Zu ergänzen ist: Die Insolvenzschuldnerin stellte am 25.8.2004 einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom 6.12.2004 hat das AG Dessau das Verfahren eröffnet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung, mit der er die Abweisung der Klage erreichen möchte. Er meint, er habe sich als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wegen deren Zahlungsunfähigkeit ab April 2004 in einer Pflichtenkollision befunden, die wegen des Zahlungsverbotes des § 64 Abs. 2 GmbHG i.V.m. der daran geknüpften Schadensersatzpflicht zur rechtlichen Unmöglichkeit der Erfüllung der in § 266a Abs. 1 StGB strafbewehrten Beitragsabführungspflicht geführt habe. Die Pflichtenkollision habe bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens angedauert. Soweit in der Rechtsprechung angenommen werde, dass der Geschäftsführer nur innerhalb der ersten drei Wochen ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit von der Abführung der Arbeitnehmeranteile suspendiert sei, sei dem nicht zu folgen. Eine solche Privilegierung der Arbeitnehmeranteile könne nicht mit dem Regelungsgehalt des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG vereinbart werden. Etwas anderes folge auch nicht aus der Erwägung, dass der Geschäftsführer, der nicht rechtzeitig den Insolvenzantrag stelle, selbst vorwerfbar die Pflichtenkollision herbeigeführt habe. Denn auch die rechtzeitige Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG führe nicht dazu, dass der Geschäftsführer nicht mehr der Zahlungssperre nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG unterliege.
Der Beklagte beantragt, das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Dessau vom 19.1.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und meint, es würde dem Schutzzweck des § 266a Abs. 1 StGB nicht gerecht, würde man dessen Tatbestand beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 GmbHG zeitlich unbegrenzt als ausgeschlossen ansehen. Lediglich während des Laufs der Drei-Wochen-Frist für den Insolvenzantrag rechtfertige die Regelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge. Die aus dieser Vorschrift hergeleitete Rechtfertigung knüpfe nicht an der Insolvenzreife des Unternehmens selber an, sondern privilegiere lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise, und zwar beschränkt auf einen Zeitraum von drei Wochen. Daraus folge, dass die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nach Ablauf der Frist wieder auflebe. Soweit Mittel des Unternehmens zur Verfügung stünden, seien diese dann wieder in erster Linie für die Begleichung der Arbeitnehmeranteile i.S.d. § 266a Abs. 1 StGB einzusetzen.
II. Die Berufung ist zulässig (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1, 517, 519 f. ZPO) und begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages.
Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Zwar hat der Beklagte als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die Monate April bis Juli 2004 i.H.v. insgesamt 6.904,66 EUR nicht an die Klägerin abgeführt. Der deliktischen Haftung des Beklagten steht jedoch die nach der übereinstimmenden Erklärung der Parteien in der mündlichen Verhandlung am 9.5.2007 im April 2004 eingetretene Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin entgegen. Diese hat zwar nicht zu einer den Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ausschließenden tatsächlichen Unmöglichkeit der Pflichterfüllung geführt. Eine solche ist nicht schon dann gegeben, wenn der Arbeitgeber überschulde...