Leitsatz (amtlich)

1. Die Schutzvorschriften der § 2113 Abs. 2 BGB und § 2287 BGB betreffen unterschiedliche Vermögensmassen und schließen sich gegenseitig aus.

2. Der Nacherbe, der zugleich Vertragserbe des Vorerben ist, wird gegen unentgeltliche Verfügungen des Vorerben über Gegenstände, die zur Erbschaft des erstverstorbenen Erblassers gehören, durch § 2113 Abs. 2 BGB geschützt. § 2287 BGB schützt den Nacherben in diesen Fällen hingegen (nur) gegen beeinträchtigende Schenkungen des Vorerben aus seinem eigenen sonstigen Vermögen.

3. Auch wenn ein Nacherbe, der zugleich erbvertraglicher Schlusserbe des Vorerben ist, sein Nacherbenanwartschaftsrecht auf den Vorerben überträgt, kann dieser bis zum etwaigen Eintritt des Ersatzerbfalls über die Gegenstände der Vorerbschaft frei verfügen und damit beliebige Schenkungen vornehmen. Die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts auf den Vorerben hat nicht zur Folge, dass die Vorerbschaft und das sonstige Vermögen des Vorerben zu "eigenem Vermögen" des Vorerben verschmelzen und sich damit der Nacherbe auf den Schutz des § 2287 BGB gegen ihn als Vertragserben beeinträchtigende Schenkungen des Vorerben berufen kann.

 

Normenkette

BGB § 2113 Abs. 2, § 2287

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 9. Februar 2022, Az. 71 O 2154/20, abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 150.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt vom Beklagten die anteilige Herausgabe eines Geldbetrags wegen einer sie als Miterbin beeinträchtigenden Schenkung.

Die Klägerin ist die Tochter der A. M. (Vorerbin) und des K.M. (Erblasser). Aus der Ehe der Eltern sind insgesamt drei Töchter hervorgegangen, die Klägerin, Frau J.M. und Frau S.R.

Die Vorerbin hatte insgesamt fünf Enkelkinder, von denen O., der Sohn der Klägerin, nicht mehr lebt. Der Beklagte ist der Sohn der J.M. aus erster Ehe und das Enkelkind des Erblassers und der Vorerbin.

Der Erblasser war Inhaber eines Bauunternehmens und besaß erhebliches Immobilienvermögen. Die Eltern der Klägerin setzten sich mit Erbvertrag vom 27. November 1973 gegenseitig zu Vorerben ein (vgl. § 1 des Erbvertrags, Anlage K1). Der Vorerbe war von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, ausgenommen davon war die Verfügung über Grundstücke, die der Zustimmung der Nacherben bedurfte. Zu Nacherben des Erstversterbenden wurden die drei Töchter bestimmt (§ 2 des Erbvertrags). Außerdem sieht der Erbvertrag vor, dass die drei Abkömmlinge der Eheleute Erben des Längstlebenden sind. Zu Ersatzerben der Töchter bestimmten die Erblasser deren Abkömmlinge (§ 2 Satz 2 des Erbvertrags).

Nachdem der Erblasser K.M. am 24. Februar 1974 verstarb, machte die Schwester J. im Jahr 1976 ihren Pflichtteil nach ihrem Vater geltend. Sie schied - samt ihres Stammes - nach § 4 des Erbvertrags daher von allen Zuwendungen des Erbvertrags aus, also sowohl aus der Nacherbschaft wie auch aus der Schlusserbschaft. Um diese Folge zu beseitigen, traten die Klägerin und deren Schwester S.R. durch notarielle Vereinbarung vom 30. Juni 1997 jeweils 1/3 Anteil ihrer Anwartschaften auf die Nacherbschaft nach Herrn K.M. an Frau J.M. ab.

Die drei Töchter schlossen am 28. November 2005 mit ihrer Mutter, der Vorerbin, eine notariell beurkundete Vereinbarung, die auszugsweise folgenden Inhalt hat:

"I. Verzicht und Gegenleistung

1. Frau J. H-M., Frau E.M. und Frau S.K.-R. verzichten auf ihre Nacherbenstellung aus dem Erbvertrag vom 27.11.1973 bzw. aus der notariellen Übertragungsurkunde vom 30.6.1997 in Bezug auf den Nachlass des am 24.2.1974 verstorbenen K.M. mit der Folge, dass Frau A.M. nunmehr Vollerbin nach ihrem Ehemann ist. Frau A.M. nimmt diesen Verzicht an. Mit diesem Verzicht auf die Nacherbenstellung ist insbesondere auch die Zustimmung zu sämtlichen Verfügungen der Vorerbin Frau A.M. verbunden, die diese im Zusammenhang mit der Einbringung von Grundstücken in die M. Immobilien GmbH & Co. KG veranlasst oder noch veranlassen wird. (...)

2. Für den Verzicht auf die vorbenannte Nacherbenstellung wird eine Gegenleistung von Frau A.M. erbracht, und zwar (...)

b) für Frau E.M. und Frau S.K-R. jeweils eine Kommanditbeteiligung an der M. Immobilien GmbH & Co. KG im Wert von EUR 30.000,00 EUR, was jeweils 1/3 des Haftkapitals der M. Immobilien GmbH & Co. KG im Übertragungszeitraum entspricht.

III. Erbanordnungen

Frau E.M. und Frau S. K-R- bleiben Schlusserben nach dem Tod ihrer Mutter Frau A.M., so wie es der Erbvertrag der Eheleute (..) vorsehen.

(...)

V. Ausgleichsansprüche

Frau J. H-M, Frau E. M. und Frau S. K-R. verzichten hiermit ausdrücklich auf sämtliche Ausgleich...

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