Leitsatz (amtlich)
(1) Der Umstand, dass eine ganz überwiegende Zahl von Gebrauchtwagenkäufern eine verbindliche Kauferklärung erst nach einer Besichtigung und ggf. einer Probefahrt abgeben möchte, schließt nicht aus, dass auch eine signifikante Zahl von Verbrauchern allein aufgrund einer Internetannonce und der Fahrzeugbeschreibung einen Vertrag zu schließen bereit ist, so dass ein Händler ein Fernabsatzsystem einrichtet, um die Wünsche auch dieser Personengruppe zu bedienen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Händler Teil einer großen Gruppe von Autohändlern und -werkstätten ist und für die von ihm verkauften Gebrauchtfahrzeuge eine "Garantie" abgibt.
(2) Die erneute Unterzeichnung einer "Verbindliche[n] Bestellung..." würde selbst dann, wenn sie als erneuter Abschluss des Kaufvertrags zu bewerten hätte, keinen Verzicht auf ein gesetzliches Widerrufsrecht beinhalten, wenn davon ausgegangen werden muss, dass der Käufer sich bereits aufgrund seiner früheren Erklärung gebunden sah.
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 19 O 3284/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23. Dezember 2021, Az. 19 O 3284/21 teilweise wie folgt abgeändert:
1. Die in Ziffer 1. ausgesprochene Verzinsungspflicht besteht erst ab dem 5. März 2021.
2. Die in Ziffer 1. ausgesprochene Verurteilung zur Zahlung besteht nur Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des dort genannten Fahrzeugs.
3. Der in Ziffer 2. festgestellte Annahmeverzug der Beklagten besteht erst ab dem 4. März 2021.
4. Die Verurteilung der Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Ziffer 3.) entfällt.
Im Umfang dieser Abänderung wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten gegen das in Ziffer I. genannte Endurteil zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV. Das vorliegende Urteil sowie das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.325,04 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten darum, ob der Kläger einen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Kraftfahrzeug wirksam widerrufen hat und welche Ansprüche ihm deswegen zustehen.
Der Kläger wandte sich am 12. August 2020 telefonisch an die Beklagte, die mit Kraftfahrzeugen handelt und das Fahrzeug Audi A3 Sportback e-tron 1.4 TFSI S, Erstzulassung 8. März 2017, FIN: WA..., im Internet inseriert hatte. Der Verkaufsmitarbeiter der Beklagten, der als Zeuge benannte D. S1, übersandte dem Kläger daraufhin per E-Mail eine auf dieses Fahrzeug bezogene "Verbindliche Bestellung eines Kraftfahrzeugs mit Garantie", welche der Kläger in der Folgezeit unterschrieben per Telefax zurücksandte. Die Beklagte bestätigte dem Kläger mit "Auftragsbestätigung" vom 20. August 2020 dankend den "ihren Kaufvertrag betreffend nachstehendem Kraftfahrzeug" und ließ ihm mit Schreiben vom 27. August 2020 die Zulassungsbescheinigung Teil I und II sowie die EWG-Übereinstimmungserklärung zukommen; der Kläger entrichtete den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 25.325,04 EUR. Der Kläger holte das Fahrzeug am 10. September 2020 bei der Beklagten ab, wobei er nochmals das Dokument "Verbindliche Bestellung eines Kraftfahrzeugs mit Garantie" unterzeichnete.
Nachdem in der Folgezeit zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über die Mangelfreiheit des Fahrzeugs aufgekommen waren und der Kläger deshalb im November 2020 einen Rechtsstreit beim Amtsgericht F-Stadt eingeleitet hatte, erklärte der Kläger mit an die Beklagte gerichteter E-Mail vom 20. Februar 2021 den Widerruf seiner Vertragserklärung vom 12. August 2020. Die Beklagte äußerte sich durch ihre anwaltliche Vertreterin unter dem 23. Februar und (nach Schreiben des Klägervertreters vom 1. März 2021) unter dem 4. März 2021. Der Kläger änderte daraufhin mit Schriftsatz vom 29. März 2021 seine zunächst auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten gerichtete Klage. Mit Schriftsätzen vom 29. April 2021 trat die Beklagte dem Standpunkt des Klägers, es liege ein Fernabsatzgeschäft vor, entgegen und machte geltend, dass der Kläger Rückabwicklung des Kaufvertrags nur Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen könne.
Das Landgericht hat die Beklagte, soweit vorliegend von Interesse, entsprechend dem zuletzt gestellten Hilfsantrag des Klägers zur Zahlung von 25.325,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz seit dem 24. Februar 2021, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, verurteilt, den Annahmeverzug der Beklagten seit dem 24. Februar 2021 festgestellt, die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.501,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9....