Leitsatz
1. Private Veräußerungsgeschäfte mit Anteilen an in- und ausländischen Investmentfonds unterliegen im Streitjahr 1999 der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
2. Eine Veräußerung liegt nicht vor, wenn der Anleger den Anteilsschein gemäß § 11 Abs. 2 KAGG an die Kapitalanlagegesellschaft zurückgibt.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, § 11 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Satz 1, § 40a KAGG, § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, § 18 Abs. 4 AuslInvestmG
Sachverhalt
Die Klägerin veräußerte im Streitjahr zahlreiche Anteile an in- und ausländischen Investmentfonds jeweils innerhalb eines Jahres. Den Gewinn deklarierte sie in ihrer Einkommensteuererklärung, machte mit dem Einspruch gegen die erklärungsgemäße Veranlagung jedoch geltend, die Gewinne seien steuerfrei, weil § 23 EStG nicht anwendbar sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hat die Entscheidung des FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2014, 1 K 3180/12, Haufe-Index 7650587, EFG 2015, 720) aufgehoben und dem FG aufgegeben zu prüfen, ob die Klägerin die Investmentfonds (steuerpflichtig) veräußert oder (steuerfrei) an den jeweiligen Emittenten zurückgegeben hat.
Hinweis
Das Streitjahr (1999) liegt weit zurück. Die Entscheidung dürfte deshalb – wenn überhaupt – nur noch für wenige offene Fälle von Bedeutung sein:
1. Streitig war zum einen, ob § 23 EStG im Streitjahr durch die (abschließenden) Vorschriften des KAGG und des AuslInvG verdrängt wurde. Das hat der BFH verneint.
a) Beide Gesetze enthielten im Streitjahr noch keine Vorschriften über die Besteuerung des Anlegers. Außerdem sah der 1999 aufgehobene § 23 Abs. 2 Satz 3 EStG a.F. vor, dass der im Veräußerungserlös enthaltene Zwischengewinn der Besteuerung nach § 20 EStG unterfiel. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Veräußerungsgewinn nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht von § 23 EStG erfasst werden sollte. Aus der Aufhebung der Norm war nichts anderes zu schließen, denn die Rechtslage sollte sich dadurch nicht ändern. Die Subsidiarität der Einkünfte aus § 23 EStG ergab sich seitdem aus § 23 Abs. 2 Satz 1.
b) Anlass für die Klage waren wohl Äußerungen des I. Senats des BFH und des verstorbenen Kollegen Dr. Buciek, die insofern Hoffnungen geweckt hatten. Daraus ließ sich entnehmen, dass die Vorschriften des EStG durch die spezielleren Vorschriften des KAGG und des AuslInvG vollständig verdrängt würden. Als sachlicher Grund wurde angeführt, dass Veräußerungsgewinne auf Fondsebene nach damaliger Rechtslage sowohl im Fall der Ausschüttung als auch im Fall der Thesaurierung steuerfrei blieben. Damit sei es nicht zu vereinbaren, den Erlös aus der Veräußerung von Anteilen beim Anleger zu besteuern.
c) Der Senat ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Die entsprechenden Äußerungen des BFH waren nicht bindend. In der Sache war der Senat nicht davon überzeugt, dass die zweifellos bestehenden Wertungswidersprüche zu einer teleologischen Korrektur des Gesetzes zwangen, denn der Anleger konnte der Entstehung eines Veräußerungsgewinns durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts ausweichen.
2. War danach § 23 EStG anwendbar, stellte sich die (von den Beteiligten nicht aufgeworfene) Frage, ob die Rückgabe der Anteile (nach § 11 KAGG) den gesetzlichen Begriff der Veräußerung erfüllt.
a) Der BFH hat auch das verneint. Veräußerung und Rückgabe seien zwei unterschiedliche Vorgänge. Der Fall der Rückgabe sei von § 23 EStG a.F. nicht erfasst.
b) Zumindest für § 23 EStG dürfte diese Aussage Bestand haben, denn insoweit hat sich der Wortlaut der Norm nicht geändert.
3. Was bedeutet das Urteil für vergleichbare Vorgänge in Jahren nach 1999?
a) Die Rückgabe von Investmentanteilen ist ein gesetzlich geregeltes Recht (§ 37 InvG bzw. § 98 KAGB). Sie bildet für Investoren häufig die einzige Möglichkeit, den Anteil wieder zu Geld zu machen.
b) Die steuerliche Rechtsentwicklung ist ungleich komplizierter verlaufen. Solange das KAGG und das AuslInvG die allgemeinen Vorschriften des EStGnicht verdrängen, bleibt es bei den Aussagen im Urteil. Ab welchem Zeitpunkt dies anders ist, hat der BFH nicht entschieden. Dies lässt sich auch nicht sicher vorhersagen, denn insofern wird eine Gesamtwürdigung des jeweiligen Normbestands erforderlich sein.
c) Nach diesem Zeitpunkt kommt es – wie bis heute – darauf an, ob die dann als abschließend anzusehenden Sondergesetze (KAGG und AuslInvG bzw. Nachfolgegesetze) die Anwendung von Vorschriften des EStG (hier: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) ausdrücklich anordnen. Das war zumindest vorübergehend der Fall (vgl. § 8 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz InvStG 2003 bis 2007).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.11.2015 – IX R 3/15