Alfred Schmidbauer, Dr. Philipp Lill
Zusammenfassung
- Das Produktportfoliomanagement ist eine der wichtigsten unternehmerischen Tätigkeiten, da sie das externe Kundenverständnis und die internen Geschäftsbedürfnisse miteinander vereint und so kurzfristige und langfristige Interessen systematisch abwägt.
- In der Realität verhindern nämlich intransparente Kostentreiber, wie bspw. Produktpflegekosten, häufig Investitionen in innovative Technologien und die digitale Transformation.
- Das systematische Vorgehen gewährleistet die notwendige Transparenz, um eine zielgerichtete Diskussion zwischen verschiedenen Stakeholdern im Unternehmen zu ermöglichen.
- Eine szenariobasierte F+E-Budgetallokation bietet eine detaillierte Entscheidungsgrundlage für die Umsetzung der Unternehmens- und der damit verbundenen Produktportfoliostrategie.
1 Strategisches Produktportfoliomanagement als Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Transformation
In einer Zeit, in der Schlagwörter wie Digitalisierung, Disruption und Transformation allgegenwärtig sind, versuchen viele Unternehmen den Anschluss nicht zu verlieren. Nicht zuletzt auch durch die mit COVID-19 einhergehenden Veränderungen des Geschäftsumfeldes sehen wir das strategische Produktportfoliomanagement als eine Schlüsselkompetenz. Dies gilt sowohl in der Zeit während als auch insbesondere nach der Pandemie. Die Einführung digitaler Lösungen sowie die fortschreitende Konsolidierung des Wettbewerbsumfeldes führt in den meisten Industriebranchen zu hohem Innovationsdruck. Die Notwendigkeit, gerade jetzt in innovative Technologien und Lösungen zu investieren, steht dabei einer durch die Corona-Pandemie geschwächten Finanzkraft gegenüber. Dieses Spannungsfeld wird durch das strategische Produktportfoliomanagement aufgelöst. Die Erweiterung der Produktportfolios um digitale Angebote verändert das Einkaufsverhalten der Kunden hin zu den Herstellern, die mit einer klar formulierten Value Proposition ihres digitalen Portfolios einen Mehrwert für den Käufer darstellen können. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, passen viele Unternehmen ihre Strategien entsprechend an. Sie formulieren Visionen des zukünftigen (digitalen) Erscheinungsbildes der Firma mitsamt identifizierten Handlungsfeldern, die für den Weg dorthin von Relevanz sind.
1.1 Herausforderungen der Strategien für die digitale Transformation
Trotz der enormen Chancen, die die digitale Transformation suggeriert, sehen sich Unternehmen zunächst einmal mit einer Reihe komplexer Herausforderungen konfrontiert. So reduzieren bspw. neue Technologien und Geschäftsmodelle vielerorts die Hürden eines Markteintritts und ermöglichen es somit der Konkurrenz, uneinholbar scheinende Marktführer zu stürzen oder ihnen zumindest empfindlich zu schaden. Diese Disruptionsgefahr ist allgegenwärtig und scheinbar "unvorhersagbar" in gleichem Maße. Der Überraschungseffekt sinkt grundsätzlich mit der Anzahl der beobachteten Technologien und Wettbewerber.
Basis für eine vernünftige Budgetzuordnung kann immer nur der Markt sein – eine umfassende, strukturierte Segmentierung ist fundamental. Darauf aufbauend sollten Unternehmen zielgerichtet in bestimmte Marktsegmente investieren. Doch auch hier bleiben meist noch viele Optionen offen, denn Unternehmen verfügen über endliche finanzielle Mittel. Sie können somit nicht in jeden am Horizont erscheinenden Trend bedenkenlos investieren. In diesem von Unsicherheit geprägten Spannungsfeld müssen Unternehmen regelmäßig entscheiden, in welche Bereiche sie investieren können, um ihre Innovationskraft zu steigern und in welche nicht. Im internen Kampf um diese Investitionen konkurrieren nicht selten innovative Technologien mit bereits existierenden margenstarken Produkten, die die kurz- bis mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens sicherstellen.
1.2 Der Bruch zwischen Strategie und Implementierung
Um diesem Zwiespalt Rechnung zu tragen, setzen immer mehr Unternehmen auf "Strategic Buckets" – eine strategisch vorab als Ziel festgelegte prozentuale Verteilung des Gesamtbudgets in Themenbereiche wie Innovation, Weiterentwicklung und Produktpflege. Die Grundlage für die Festlegung der "Strategic Buckets" bildet dabei eine möglichst konkrete Geschäftsstrategie. Diese sollte idealerweise Aussagen über die zukünftigen Geschäftsfelder und Zielmärkte, sowie generelle Leitplanken zu Investitionsschwerpunkten enthalten. Hat man z. B. das strategische Ziel, in einem Marktsegment Kostenführer zu werden, dann lässt sich daraus direkt ein spezifisches "Strategic Bucket" festlegen. Wichtig ist, dass tatsächlich das gesamte verfügbare F+E-Budget auf die "Strategic Buckets" aufgeteilt wird und man Ausgaben wie z. B. Pflege und Wartung oder Umlagen im Vorfeld vom Prozess nicht ausschließt.
Trotz der Budgetallokation für Zukunftsthemen mittels "Strategic Buckets" sieht die Realität oft anders aus. Die Pflege und Weiterentwicklung des existierenden Produktportfolios verschlingen häufig mehr Ressourcen als eingeplant (s. Abb. 1). Insbesondere zwei Umstände verstärken dieses Phänomen.
- Zum einen haben Unternehmen Schwierigkeiten damit, Sonderwünsche des Kunden auszuschlagen. Dadurch werden inkrementelle Verbesserungen bestehender Produkte forciert, selbst wenn das dafür vorgesehene F+E-Budget b...