Leitsatz
1. Unter der Existenzgrundlage i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ist nur die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen zu verstehen (Bestätigung des BFH-Urteils vom 18.05.2017 – VI R 9/16, BFHE 258, 142, BStBl II 2017, 988).
2. Prozesskosten anlässlich eines Umgangsrechtsstreits und der Rückführung des Kindes aus dem Ausland zurück nach Deutschland sind gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.
Normenkette
§ 33 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 4 EStG, Art. 6 GG
Sachverhalt
Kurz nach der Geburt wurde die Tochter des Klägers von der Mutter in deren Heimatland in Südamerika verbracht. Der Kläger versuchte – vergeblich –, die Tochter mittels des Verfahrens zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung nach Deutschland zurückzuholen. Dafür entstandenen ihm Gerichts- und Anwaltskosten von über 20.000 EUR, die er in seiner Einkommensteuererklärung für 2014 (Streitjahr) als außergewöhnliche Belastung geltend machte. Das FA lehnte dies unter Hinweis auf § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ab. Das FG gab der daraufhin erhobenen Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 13.3.2018, 13 K 3024/17 E, Haufe-Index 11721237, EFG 2018, 838).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Prozesskosten sind seit dem VZ 2013 nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG grundsätzlich nicht (mehr) als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen (Abzugsverbot für Prozesskosten).
2. Das Abzugsverbot für Prozesskosten greift nur dann nicht ein, wenn der Steuerpflichtige ohne die Aufwendungen Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine notwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (Ausnahmevorbehalt).
3. Als Existenzgrundlage i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ist die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen zu verstehen (BFH, Urteil vom 18.5.2017, VI R 9/16, BFH/NV 2017, 1373).
a) Zwar hat der BFH die Möglichkeit in Betracht gezogen, den gesetzlich nicht definierten Begriff der Existenzgrundlage auch in einem immateriellen Sinn zu deuten, etwa als die Summe der Überzeugungen und Wertvorstellungen einer Person oder als die Eingebundenheit einer Person in eine Familie und/oder einen Freundeskreis.
b) Im Hinblick auf den Wortlaut, das bisherige Verständnis des Begriffs der Existenzgrundlage in der Rechtsprechung und die Entstehungsgeschichte der Norm hat er jedoch entschieden, dass unter dem Begriff der Existenzgrundlage i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen zu verstehen ist.
c) An diesem Verständnis des Begriffs der Existenzgrundlage i.S.d. materiellen Lebensgrundlage hält der BFH fest. Es gilt allgemein im Anwendungsbereich des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG und nicht nur für den Fall von Scheidungskosten.
4. Nach diesen Maßstäben kommt eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Prozesskosten nicht in Betracht. Denn im Streitfall war die materielle Lebensgrundlage des Klägers nicht gefährdet, selbst wenn er die Aufwendungen nicht getätigt hätte. Denn ein Umgangsrechtsstreit als solcher betrifft keine finanziellen Ansprüche. Die Kindesentführung berührt ungeachtet der besonderen emotionalen und auch finanziellen Belastung für den Kläger allein dessen immaterielle Existenzgrundlage.
Bestätigung der bisherigen strengen Rechtsprechung
Es ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten, die Begriffe der Existenzgrundlage und der lebensnotwendigen Bedürfnisse in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG (auch) in einem immateriellen Sinne zu deuten. Der BFH bestätigte damit seine bisherige strenge Auffassung, der das FG mit einem sog. Rüttelurteil entgegengetreten war.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.8.2020 – VI R 15/18