Leitsatz
1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Realisation des Körperschaftsteuerguthabens bis zum Inkrafttreten des SEStEG ausschüttungsabhängig ausgestaltet hat.
2. Die gesetzliche Begrenzung der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 des im Rahmen einer Liquidation verteilten Vermögens, die bei unzureichender Kapitalausstattung einer Kapitalgesellschaft zu einem endgültigen Verlust von Körperschaftsteuerguthaben führen kann, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Normenkette
§ 37, § 40 Abs. 4 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die klagende GmbH wurde durch Gesellschafterbeschluss vom 15.6.2005 mit Wirkung zum 1.7.2005 aufgelöst. Die Schlussverteilung des Vermögens (1.138.491 EUR) erfolgte am 24.8.2006. Das KSt-Guthaben von 172.932 EUR konnte im Rahmen der Liquidationsbesteuerung vollständig realisiert werden, weil das ausgekehrte Vermögen unter Anwendung des für die Bemessung der KSt-Minderung maßgeblichen gesetzlichen Faktors von 1/6 hoch genug war (1/6 des ausgekehrten Vermögens = 189.749 EUR). Nach der Gesetzesänderung ermittelte das FA ein KSt-Guthaben von 282.979 EUR, sah es allerdings in der 189.749 EUR übersteigenden Höhe als verfallen an. Die Klage blieb erfolglos (Hessisches FG, Urteil vom 12.2.2014, 4 K 1691/12, Haufe-Index 6993111).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Hinweis
1. Wer meint, Rechtsfragen zum Übergang des Anrechnungsverfahrens zum Halbeinkünfteverfahren müssten inzwischen gelöst sein, wird immer wieder eines Besseren belehrt: Gerade die durch den Spruch des BVerfG (Beschluss vom 17.11.2009, 1 BvR 2192/05, BFH/NV 2010, 803 – dazu Gosch in BFH/PR 2010, 172) notwendig gewordene gesetzliche Nachbesserung der Regelungen zur Ermittlung der sog. Endbestände (im JStG 2010; s. jetzt § 34 Abs. 11 KStG) hat neue Fragen aufgeworfen, die noch nicht alle abschließend entschieden sind (es sind Verfassungsbeschwerden anhängig – s. 2 BvR 928/15 (zu BFH, Urteil vom 29.1.2015, I R 84/12, BFH/NV 2015, 1007) u. 2 BvR 1240/15 (zu BFH, Urteil vom 30.7.2014, I R 56/13, BFH/NV 2014, 1860, dazu Gosch in BFH/NV 2014, 424). Zugleich hat der Beschluss des BVerfG aber auch Erwartungen geweckt, jedweder Verlust eines im Übergangszeitpunkt vorhandenen KSt-Minderungspotenzials sei verfassungswidrig. Dass dem nicht so ist, zeigt der BFH im Streitfall für die Situation der Liquidation auf.
2. Es geht um § 40 Abs. 4 KStG 2002 (i.d.F. des StVergAbG): Danach mindert sich, wenn das Vermögen einer Körperschaft im Rahmen einer Liquidation verteilt wird, die KSt um den Betrag, der sich nach § 37 KStG 2002 ergeben würde, wenn das verteilte Vermögen als im Zeitpunkt der Verteilung für eine Ausschüttung verwendet gelten würde. Die Minderung der KSt, die auch zu einer KSt-Erstattung führen kann, ist für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Liquidation endet. Die Regelung stellt die Verteilung des Vermögens im Rahmen einer Liquidation einer Ausschüttung gleich. Diese Ausschüttungsfiktion zwingt dazu, die Realisierung des KSt-Guthabens vom Vorhandensein ausreichenden Kapitals der Körperschaft abhängig zu machen und im Falle einer insoweit ungenügenden Vermögensausstattung das "Rest-Guthaben" nicht voraussetzungslos auszuzahlen, sondern verfallen zu lassen, da es an der gesetzlichen Grundlage für eine Auszahlung fehlt. Nach dem Gesetzeswortlaut (Bezugnahme auf § 37 KStG 2002) ist die Höhe der KSt-Minderung auf 1/6 des Betrags der ausschüttungsgleichen Vermögensverteilung beschränkt und eine darüber hinausgehende Auszahlung des Guthabens nicht vorgesehen. Die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt das gefundene Ergebnis: Der historische Gesetzgeber hat bewusst ein ausschüttungsabhängiges System und kein ausschüttungsunabhängiges Auszahlungsmodell etablieren wollen, wie der später von ihm vorgenommene Konzeptwechsel zeigt (ausschüttungsunabhängige Realisierung des Guthabens durch Auszahlung erst später durch das SEStEG).
3. Der BFH verteidigt das Gesetz gegen den Vorwurf, es werde gegen Art. 3 GG verstoßen. Auch das BVerfG habe in seinem bereits oben zitierten Beschluss (1 BvR 2192/05) nicht zu erkennen gegeben, dass das ausschüttungsabhängige Modell verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen könnte. Dabei sei auch die im Wege gesetzlicher Fiktion vorgenommene Gleichstellung der Vermögensauskehrung im Rahmen einer Liquidation mit einer offenen Gewinnausschüttung sachlich gerechtfertigt. Im Übrigen habe sich das BVerfG nicht dazu geäußert, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Realisierung eines zum Zeitpunkt der Systemumstellung in zutreffender Höhe festgestellten KSt-Guthabens zu stellen sind. Der Gedanke der "fiktiven Vollausschüttung" habe für das BVerfG lediglich den Maßstab für die quantitative Bestimmung der "richtigen" Höhe der zum Zeitpunkt der Systemumstellung bestehenden Anwartschaft auf KSt-Minderung gebildet. Verfassungsrechtlichen Schutz genieße nur der im einfachen Re...