Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Ein Leiharbeitnehmer verfügt typischerweise nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte.
Normenkette
§ 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 1, 2, 3, 5 EStG
Sachverhalt
K ist bei A angestellt. A verleiht seine Bediensteten an verschiedene andere Firmen im Seehafengebiet jeweils kurzfristig nach dort anfallendem Arbeitsbedarf. So war K als Hafenarbeiter für andere Firmen im Hafengebiet tätig. K begehrte mit der ESt-Veranlagung den Ansatz von Verpflegungsmehraufwand.
Das FA lehnte das ab, weil auch der BFH (Urteil vom 11.04.2006, VI R 52/05, BFH/NV 2006, 2237) die Tätigkeit eines Festmachers in einem Hafengebiet als Arbeit an derselben Tätigkeitsstätte bewertet habe. Die Klage blieb erfolglos (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.02.2008, 4 K 1/07, Haufe-Index 2106191, EFG 2009, 242).
Entscheidung
Der BFH entsprach aus den in Praxis-Hinweisen genannten Gründen dem Anliegen des K, verwies aber die Sache an das FG zur Nachprüfung der Anzahl der Tage mit Auswärtstätigkeit zurück.
Hinweis
Die jetzt ergangene Entscheidung zeichnete sich schon in früheren Urteilen ab: die Frage, ob eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte ist, hatte der BFH bereits verneint (vgl. m.w.N. BFH, Urteil vom 09.07.2009, VI R 21/08, BFH/NV 2009, 1883, BFH/PR 2009, 406). Er stützte sich dazu auf die seit den "Mai-Urteilen" von 2005 fortentwickelten Grundsätze.
1.§ 9 Abs. 5 S. 1 EStG gestattet i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 1, 2 EStG den Abzug von Verpflegungsmehraufwand. Die in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 EStG genannten Tätigkeiten umschreibt der LSt-Senat seit den "Mai-Urteilen" plakativ mit Auswärtstätigkeit (BFH, Urteile vom 11.05.2005, VI R 7/02, BFH/NV 2005, 1686, BFH/PR 2005, 403; VI R 16/04, BFH/NV 2009, 469, unter II.2.a und II.2.b der Gründe, BFH/PR 2009, 138). Keine solche ist die an Tätigkeitsmittelpunkt (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG) und regelmäßiger Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG), also an einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Seit den Mai-Urteilen differenziert der BFH danach, ob sich der Arbeitnehmer auf diesen Tätigkeitsmittelpunkt/regelmäßigen Arbeitsstätte einstellen könnte, etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder sogar durch entsprechende Wohnsitznahme, und zwar aus der "ex ante" Perspektive, also ob sich der Arbeitnehmer zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit darauf hatte einrichten können. Deshalb war eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte.
2. K ging einer Auswärtstätigkeit nach, weil K nicht bei seinem Arbeitgeber, sondern bei dessen diversen Kunden tätig war. Und K konnte sich als Leiharbeitnehmer nicht darauf einrichten, an einem bestimmten Tätigkeitsmittelpunkt/regelmäßigen Arbeitsstätte dauerhaft tätig zu sein. Denn als Leiharbeitnehmer war er typischerweise stets bei Kunden seines Arbeitgebers tätig. Damit konnte K Verpflegungsmehraufwand geltend machen. Es lagen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass K bei den Kunden seines Arbeitgebers jeweils länger als drei Monate ununterbrochen tätig war (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 5 EStG). Und das FA konnte sich auch nicht auf das "Hafenfestmacherurteil" berufen (BFH, Urteil vom 11.04.2006, VI R 52/05, BFH/NV 2006, 2237), denn dort lag kein Leiharbeitnehmerverhältnis vor.
3. Die Verwaltung hat ihre Auffassung zur Behandlung von Leiharbeitnehmern im BMF-Schreiben vom 21.12.2009 (IV C 5 S 2353/08/10010, BStBl I 2010, S. 21) dargelegt. Danach soll ein Leiharbeitnehmer nicht auswärts tätig sein, wenn er vom Verleiher für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses dem Entleiher überlassen wird. Im Streitfall kam es darauf nicht an, der BFH ließ daher offen, ob er dem folgen könnte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.06.2010 – VI R 35/08