Leitsatz
Wird ein bestandskräftiger Steuerbescheid, für den die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, nach § 174 Abs. 4 AO 1977 innerhalb der Jahresfrist dergestalt geändert, dass nunmehr kein nicht ausgeglichener Verlust mehr besteht, so ist innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 der Steuerbescheid des Verlustrücktragsjahres gemäß § 10d Satz 2 EStG a.F. zu ändern.
Normenkette
§ 174 Abs. 4 AO , § 10d Sätze 2 und 3 EStG a.F. (jetzt: § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG)
Sachverhalt
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass eine vom Kläger 1987 abgeschriebene Forderung erst im VZ 1989 abgeschrieben werden könne. Es erließ entsprechende Änderungsbescheide für beide Jahre, wobei es einen 1989 nicht ausgeglichenen Verlust in 1987 berücksichtigte.
Dem Einspruch gegen den Bescheid 1987, mit dem der Kläger geltend machte, die Forderungsabschreibung sei bereits in diesem Jahr vorzunehmen, gab das FA statt. Es änderte den Bescheid 1987 entsprechend und berücksichtigte einen weiteren Verlustrücktrag aus 1989.
Zwei Monate später erließ das FA einen Änderungsbescheid für 1989. Da sich nun ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte ergab, änderte es den Bescheid 1987 erneut und strich den aus 1989 zurückgetragenen Verlust. Einspruch und Klage gegen die geänderten Bescheide 1987 und 1989 blieben erfolglos.
Entscheidung
Der BFH sah beide Änderungen als gerechtfertigt an.
Da das FA die Forderungsabschreibung antragsgemäß 1987 vorgenommen habe, durfte es die nun nicht mehr gerechtfertigte Abschreibung 1989 rückgängig machen. Das sei auch innerhalb eines Jahres geschehen.
Nachdem durch den Wegfall der Forderungsabschreibung 1989 kein rücktragsfähiger Verlust für 1987 mehr vorhanden gewesen sei, habe das FA auch den bei der Veranlagung 1987 gewährten Verlustrücktrag rückgängig machen dürfen. Die Festsetzungsfrist für 1987 habe nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für 1989 geendet.
Hinweis
In dieser Entscheidung wird deutlich, welche verfahrensrechtlichen Probleme sich ergeben können, wenn ein Steuerpflichtiger im Einspruchsverfahren erreicht, dass eine Forderung bereits zwei Jahre früher als zunächst vom FA zugelassen abgeschrieben wird. So ist das FA hier im Anschluss an die erfolgreiche Anfechtung berechtigt und verpflichtet, zwei "Folgeänderungen" in entgegengesetzte Richtungen vorzunehmen.
Die erste Folgeänderung ist auf § 174 Abs. 4 AO gestützt: Wird die Abschreibung antragsgemäß bereits 1987 zugelassen, kann die zunächst 1989 gewährte Abschreibung nicht bestehen bleiben. Der BFH lässt deshalb die Änderung des Bescheids 1989 wegen widerstreitender Festsetzungen zu, auch wenn es sich nicht um einen sog. negativen Widerstreit handelt, also der Sachverhalt ansonsten "ohne steuerliche Regelung wäre" (siehe dazu Tipke/Kruse, § 174 AO Rz. 47).
Zweck des § 174 Abs. 4 AO sei es, nach antragsgemäßer Änderung eines Bescheids die in einem anderen Bescheid gezogenen steuerlichen Folgerungen – ggf. unter Durchbrechung der Bestandskraft – rückgängig zu machen, die sich nachträglich als unzutreffend erwiesen haben. Dabei sei es unerheblich, ob das FA oder der Steuerpflichtige den Irrtum veranlasst habe. Eine Folgeänderung ist deshalb auch bei einem sog. positiven Widerstreit zulässig, um zu verhindern, dass die steuerlichen Folgerungen zweimal gezogen werden.
Die zweite Folgeänderung ergibt sich aus § 10d Abs. 2 EStG a.F. (jetzt: § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG): Wenn die Rückgängigmachung der Forderungsabschreibung 1989 zur Folge hat, dass statt eines Verlusts ein Gewinn auszuweisen ist, so kann – innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO – ein bereits erfolgter Verlustrücktrag ins Jahr 1987 wieder rückgängig gemacht werden. Dabei versteht der BFH die Berichtigung eines Verlustabzugs, die § 10d Abs. 2 EStG a.F. zulässt, in einem weiten Sinn. Zulässig sei nicht nur die betragsmäßige Korrektur, sondern auch die nachträgliche Versagung des Verlustabzugs in vollem Umfang.
Entscheidend ist aber vor allem die Auslegung des BFH zum Nicht-Ablauf der Festsetzungsfrist gem. § 10d Satz 3 EStG a.F. (jetzt: § 10d Abs. 1 Satz 6 EStG). Nach dieser Vorschrift knüpft die Festsetzungsfrist an die Verjährungsfrist des VZ an, in dem "Verluste nicht ausgeglichen werden". Nach BFH werden hier die bisher in 1989 angesetzten Verluste insoweit nicht ausgeglichen, als sie – wie sich im Nachhinein herausgestellt hat – tatsächlich nicht entstanden sind. Da die Steuerfestsetzung 1989 nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO noch innerhalb eines Jahrs nach der beantragten Änderung der Steuerfestsetzung 1987 vorgenommen werden darf, läuft auch die Festsetzungsfrist für die erneute Änderung 1987 (Versagung des Verlustrücktrags) nicht vorher ab.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.4.2001, XI R 59/00