Jean Bramburger-Schwirkslies, Michele Schwirkslies
Verkauft oder entnimmt der Unternehmer ein Wirtschaftsgut seines Anlagevermögens, muss er grundsätzlich die dabei aufgedeckten stillen Reserven versteuern. Scheidet das abnutzbare Wirtschaftsgut des Anlagevermögens aber infolge höherer Gewalt oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen aus, brauchen die aufgedeckten stillen Reserven nicht sofort versteuert zu werden. Es kommt zu einer zeitlichen Streckung der Versteuerung.
Voraussetzung ist, dass
- ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens (Anlage- oder Umlaufvermögen) durch höhere Gewalt oder durch behördlichen Eingriff (oder zur Vermeidung eines solchen Eingriffs) gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und
- ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut innerhalb einer bestimmten Frist angeschafft wird und
- das Wirtschaftsgut wegen der Abweichung von der Handelsbilanz in ein besonderes laufend zu führendes Verzeichnis aufgenommen wird.
Werden beim unfreiwilligen Ausscheiden stille Reserven aufgedeckt, können diese steuerlich auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden.
Höhere Gewalt liegt vor, wenn das Wirtschaftsgut infolge von Elementarereignissen aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, zum Beispiel aufgrund von
- Brand,
- Sturm,
- Hagelschlag,
- Explosion,
- Erdbeben oder
- Überschwemmung.
Von höherer Gewalt ist auch bei anderen unabwendbaren Ereignissen, wie z. B. bei Diebstahl oder einem unverschuldeten Unfall auszugehen. Fälle eines behördlichen Eingriffs sind z. B. Maßnahmen zur Enteignung oder Inanspruchnahme für Verteidigungszwecke. Außerdem ist von höherer Gewalt auszugehen, wenn kurze Zeit nach Fertigstellung eines Gebäudes dieses aufgrund erheblicher Baumängel wieder abgerissen werden muss. Das Unbrauchbarwerden einer Maschine aufgrund eines Material- oder Konstruktionsfehlers oder auch eines Bedienungsfehlers stellt keinen Fall von höherer Gewalt dar.
Ein behördlicher Eingriff liegt z. B. vor bei
- Enteignung,
- einem behördlichen Bauverbot oder
- bei einer behördlich angeordneten Betriebsunterbrechung.
Ein behördlicher Eingriff liegt jedoch nicht vor,
- wenn die Gemeinde ein Wiederkaufsrecht ausübt,
- beim Tausch von Grundstücken oder
- der Veräußerung eines Grundstücks und dem Erwerb eines Ersatzgrundstücks,
- wenn lediglich ein gewisses öffentliches Interesse an den Maßnahmen besteht, aber auch
- bei privatrechtlich bedingten Zwangssituationen aufgrund zivilrechtlicher Vorgaben (z. B. der Übertragung von Aktien gegen Barabfindung, sog. Squeeze-out).
Das Ersatzwirtschaftsgut muss nicht nur funktionsgleich mit dem ausgeschiedenen Wirtschaftsgut sein, sondern auch tatsächlich funktionsgleich genutzt werden. Das Wirtschaftsgut muss in demselben Betrieb angeschafft werden, aus dem das andere Wirtschaftsgut ausgeschieden ist. Das gilt nur dann nicht, wenn durch die Enteignung oder höhere Gewalt eine Zwangslage entstanden ist, die den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst gefährdet oder beeinträchtigt.
Ersatzwirtschaftsgut wird auch anerkannt, wenn es fortschrittlicher als das ausgeschiedene Wirtschaftsgut ist
Das Ersatzwirtschaftsgut gilt auch als solches im Sinne des R 6.6 EStR, selbst wenn es aufgrund des technischen Fortschritts über das Maß des bisherigen, ausgeschiedenen Wirtschaftsgutes hinaus genutzt werden kann.
Zerstörung eines Lkw: Übertragung von stillen Reserven bei Anschaffung eines neuen Lkw
Ein Lkw, der sich im Betriebsvermögen der Huber-GmbH befand, wurde im September 01 durch höhere Gewalt völlig zerstört. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Lkw noch einen Buchwert von 12.000 EUR. Die Versicherung hat zur Schadensregulierung einen Betrag von 22.000 EUR überwiesen. Die Huber GmbH hat im Oktober 01 einen neuen Lkw für 36.000 EUR erworben. Hierauf überträgt sie die anlässlich des Unfalls aufgedeckten stillen Reserven.
Da eine Übertragung auf die Anschaffungskosten in der Handelsbilanz nicht möglich ist, sind die Anschaffungskosten in Handels- und Steuerbilanz mit unterschiedlichen Beträgen auszuweisen. Das bedeutet, dass auch über die Nutzungsdauer von 9 Jahren die Abschreibung unterschiedlich hoch ausfällt. Die Unterschiede ergeben sich aus der nachfolgenden Übersicht:
Bezeichnung des Vorgangs |
Handelsbilanz (in EUR) |
Steuerbilanz (in EUR) |
Differenz (in EUR) |
Buchwert des zerstörten Lkw |
12.000 |
12.000 |
– |
Erstattung durch Versicherung |
22.000 |
22.000 |
– |
aufgedeckte stille Reserven |
10.000 |
10.000 |
– |
|
|
|
|
Anschaffung des neuen Lkw |
36.000 |
36.000 |
– |
minus stille Reserven |
0 |
–10.000 |
– |
Anschaffungskosten |
36.000 |
26.000 |
10.000 |
Abschreibung (bei einer Nutzungsdauer von 9 Jahren = 11,11 %), zeitanteilig sind zu berücksichtigen: |
1.000 |
722 |
278 |
Buchungsvorschlag: Rücklage für aufgedeckte stille Reserven
Konto SKR 03/04 Soll |
Kontenbezeichnung |
Betrag |
Konto SKR 03/04 Haben |
Kontenbezeichnung |
Betrag |
1200/1800 |
Bank |
10.000 |
0932/2982 |
Rücklage für Ersatzbeschaffung |
10.000 |
Buchungsvorschlag: Kauf des Lkw in 01
Konto SKR 03/04 Soll |
Kontenbezeichnung |
Betrag |
Konto SKR 03/04 Haben |
Kontenbezeichnung |
Betrag |
0350/0540 |
Lkw |
36... |