Leitsatz
Für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung von Altersfreizeit (von zwei Tagen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit), die unter den Bedingungen einer mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitsnehmers sowie der Vollendung dessen 60. Lebensjahres steht, ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB
Sachverhalt
Nach einem Tarifvertrag stand den Arbeitnehmern der Klägerin, einer OHG, zusätzliche bezahlte Freizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu, soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten. Die Freizeittage waren am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und nur vor Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu gewähren. Das FA erkannte die vor diesem Hintergrund von der Klägerin in der Steuerbilanz auf den 31.12.2016 passivierte Rückstellung für Altersfreizeit nicht an. Es liege kein Erfüllungsrückstand der Klägerin vor, da ihre Arbeitnehmer, anders als z.B. in der Ansparphase im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung, keine Mehrleistungen erbracht hätten. Die Vereinbarung gelte nicht Vergangenes ab, sondern knüpfe nur an Vergangenes an – die wesentliche Verursachung liege in der Vollendung des 60. Lebensjahres des Arbeitnehmers und damit in der Zukunft. Das FG (FG Köln, Urteil vom 10.11.2021, 12 K 2486/20, Haufe-Index 15498123) gab der Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren statt.
Entscheidung
Der BFH wies die hiergegen gerichtete Revision des FA aus den sich aus den Praxis-Hinweisen ergebenden Gründen zurück.
Hinweis
1. Der – gesetzlich nicht definierte – Begriff des Erfüllungsrückstands bildet Verpflichtungen zur Erbringung von – seitens des Vertragspartners durch dessen erbrachte Vorleistung erdienten und am Bilanzstichtag rückständigen – Gegenleistungen im synallagmatischen und zeitlichen Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ab. Der Verpflichtete muss sich mit seinen Leistungen gegenüber dem Vertragspartner im Rückstand befinden, also weniger geleistet haben, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hätte.
Auch ein Erfüllungsrückstand setzt voraus, dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten wird. Da die Erfüllung sich im Sinne einer "Abgeltung" als zusätzliches, lediglich wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls noch nicht entrichtetes Entgelt für eine bereits früher erbrachte Vorleistung darstellen muss, ist eine Verknüpfung in dem Sinne zu fordern, dass die rückständige Gegenleistung der erbrachten Vorleistung synallagmatisch zweckgerichtet und bei zeitbezogenen Leistungen auch zeitlich zuordenbar ist.
2. Verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Gewährung von Altersfreizeit (von zwei Tagen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit), die unter den Bedingungen einer mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitsnehmers sowie der Vollendung dessen 60. Lebensjahres steht, hat er eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.
a) Der Anspruch der Arbeitnehmer (als Sachleistungsverpflichtete) ist durch ihre Arbeitsleistung – zum Teil aufschiebend bedingt durch eine mindestens zehnjährige Betriebszugehörigkeit und die Vollendung des 60. Lebensjahres – entstanden und damit erdient beziehungsweise "realisiert". Durch die Anknüpfung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit handelt es sich bei der Altersfreizeit um ein Entgelt für während dieser Zeit erbrachte Arbeitsleistungen sowie für die Nichtausübung des Kündigungsrechts. Die Arbeitnehmer haben dadurch eine Vorleistung erbracht, während der Arbeitgeber seine Gegenleistung in Gestalt der Altersfreizeit noch erbringen muss, sodass er sich insofern in einem Erfüllungsrückstand befindet.
b) Der auf diese Weise entstandene Erfüllungsrückstand wird sukzessive mit jedem abgelaufenen Jahr der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer aufgebaut.
3. Die Zusage einer Altersfreizeit ist mit der Zusage von Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmer- oder Firmenjubiläums vergleichbar. In beiden Fällen kommt es maßgebend auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, sodass die zukünftige Leistung des Arbeitgebers mit den in der Vergangenheit erbrachten Diensten des Arbeitnehmers verknüpft und aufseiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand aufgebaut wird, der die Bildung einer Rückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB gebietet.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.6.2024 – IV R 22/22