Leitsatz
1. Für die Verpflichtung, Pensionären und aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestands in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Beihilfen zu gewähren, ist eine Rückstellung zu bilden.
2. Der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte hindert nicht den Ausweis einer Verbindlichkeit, die erst nach Beendigung des Schwebezustands zu erfüllen sein wird ("Verpflichtungsüberhang").
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB , § 246 Abs. 1 HGB , § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB , Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Kreditinstitut. Sie gewährt Pensionären in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen eine Beihilfe auf der Grundlage einschlägiger Besoldungsgesetze in Verbindung mit Beihilfevorschriften des BAT und von Einzelverträgen. Berechtigt sind einerseits Versorgungsempfänger, andererseits aktive Beamte und aktive versorgungsberechtigte anderweitige Arbeitnehmer für die Zeit nach Eintritt in den Ruhestand. Für diese Verpflichtung zur Beihilfegewährung begehrt die Klägerin die Berücksichtigung von Rückstellungen in den Bilanzen der Streitjahre 1990, 1991 und 1992. Dem ist das FA entgegengetreten.
Entscheidung
Ebenso wie schon das FG (EFG 2000, 1306) gab der BFH der Klägerin Recht. Zwar seien die Beihilfeverpflichtungen noch nicht in Verbindlichkeiten erstarkt. Sie seien nach Grund und Höhe noch ungewiss.
Deswegen müsse (1.) am Bilanzstichtag hinreichend wahrscheinlich sein, dass sie entstehen und dass der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen werde. Außerdem müsse (2.) eine wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag vorliegen. Beides sei aber der Fall. Bei einer gebotenen pauschalen Beurteilung der Risiken, die nicht nur bei der Rückstellungsbewertung, sondern insoweit – bezogen auf die Frage der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme – auch beim Rückstellungsansatz zulässig sei, könne kein Zweifel daran bestehen, dass mehr Gründe für als gegen die Inanspruchnahme sprächen.
Es mangele auch nicht an der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit. Zwar müsse zunächst noch der auslösende Vorgang eintreten (Tod, Geburt, Krankheiten). Der wesentliche Bezugspunkt für die Verpflichtungen stelle jedoch das einzelne Arbeitsverhältnis dar. Das sei die wirtschaftliche Grundlage für die Ansprüche der Beschäftigten auf Beihilfeleistungen nach Eintritt in den Ruhestand. Der Eintritt des Beihilfefalls bedeute demgegenüber lediglich die Umsetzung der bestehenden Beihilfeverpflichtung.
Die Verpflichtungen erwiesen sich auch nicht als "ähnliche unmittelbare" Verpflichtung i.S.v. Art. 28 Abs. 2 EGHGB. Krankheitsbeihilfen seien keine Versorgungsbeihilfen in diesem Sinn. Folge: Scheide ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht aus, ergebe sich kein steuerliches Passivierungsverbot.
Schließlich sei der Ausweis der Verpflichtungen nicht aufgrund der Grundsätze über die Bilanzierung schwebender Geschäfte gesperrt. Denn der Schwebezustand beziehe sich auf das jeweilige Arbeitsverhältnis, das mit Leistungserbringung und damit bei Eintritt in den Ruhestand beendet sei. Die Beihilfeverpflichtung "verlängere" das Schweben nicht. Sie müsse deswegen bilanziert werden, wenn sich am Bilanzstichtag ein entsprechender Verpflichtungsüberhang ergebe.
Hinweis
Es ging im Urteilsfall um Beihilfen, die ein Kreditinstitut seinen (aktiven und bereits versorgungsberechtigten) Bediensteten in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen für die Zeit nach Eintritt in den Ruhestand zugesagt hat. Für diese Verpflichtung begehrte die Klägerin die Berücksichtigung von Rückstellungen.
1.Der BFH qualifiziert diese Verpflichtungen ihrem Grund ebenso wie ihrer Höhe nach noch als ungewiss. Auch wenn der Arbeitgeber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen sollte, in Anspruch genommen zu werden, so sei die Pflicht gleichwohl nochnicht erzwingbar; sie stelle deshalb noch keine gegenwärtige Belastung wie bei einer bereits entstandenen Verbindlichkeit dar.
2. Vor diesem Hintergrund der nach Grund und Höhe noch ungewissen Verpflichtung, ist die Rückstellung zu bilden, wenn die Verbindlichkeit erstens mit hinreichenderWahrscheinlichkeit entstehen und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen werden wird und wenn sie zweitens in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht ist.
Einzelheiten dazu können Sie dem grundlegenden Urteil vom 27.6.2001, I R 45/97, BFH-PR 2001, 337 entnehmen. An der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme hat der BFH keinen Zweifel. Und die erforderliche vergangenheitsbezogene wirtschaftliche Verursachung sieht er in den (bereits erfüllten) Arbeitsverhältnissen. Dass die Krankheit erst ausbrechen, Geburt oder Tod erst noch eintreten müssten, sei demgegenüber unbeachtlich.
Letzte Klarheit über das Phänomen der wirtschaftlichen Verursachung besteht damit aber wohl (immer noch) nicht. Man denke nur an die Nachbetreuungsleistungen bei Optikern und Hörgeräteakustikern an defekten Brillen und H...