Die Einordnung als Rückstellung oder Verbindlichkeit hat unmittelbare Auswirkungen auf die bilanzielle Abbildung in der Handels- und Steuerbilanz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch das 4. Corona-Steuerhilfegesetz die Verpflichtung zur Abzinsung von Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz weggefallen ist (Verkündung am 23.6.2022). § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG wurde dahingehend geändert, dass Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen sind. Die Verpflichtung zur Abzinsung wurde gestrichen. Als Folgeänderung, wurde auch § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG geändert, der klarstellt, dass Rückstellungen weiterhin mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen sind.
Die Neuregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG n.F ist nach § 52 Abs. 12 Satz 2 EStG erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2022 enden. Nach § 52 Abs. 12 Satz 3 EStG kann die Neuregelung auf Antrag auch für frühere Wirtschaftsjahre angewendet werden.
3.6.1 Ausweis als Verbindlichkeit
Wird die Verpflichtung als Verbindlichkeit qualifiziert, so ist der Erfüllungsrückstand – wie oben im Praxis-Beispiel dargestellt – als Verbindlichkeit in der Handelsbilanz auszuweisen, die nicht verzinst wird. Denn handelsrechtlich sind auch unverzinsliche (und niedrig verzinsliche) Verbindlichkeiten zum Erfüllungsbetrag auszuweisen. Der Erfüllungsbetrag entspricht dem Erfüllungsrückstand zum jeweiligen Bilanzstichtag.
Steuerliche Abbildung für Wirtschaftsjahre, die bis zum 31.12.2022 enden:
Die Abbildung in der Steuerbilanz weicht von dem handelsbilanziellen Ausweis ab. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG a. F. besteht ein Abzinsungsgebot von unverzinslichen Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mindestens einem Jahr, soweit die Verbindlichkeiten nicht auf einer Anzahlung oder auf einer Vorausleistung beruhen. Als Zinssatz ist ein einheitlicher Satz i. H. v. 5,5 % zu verwenden. Eine einheitliche Bilanzierung in Handels- und Steuerbilanz ist damit nicht möglich.
Steuerliche Abbildung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2022 enden:
Die Abbildung in der Steuerbilanz entspricht dem handelsbilanziellen Ausweis. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG n. F. sind Verbindlichkeiten nicht abzuzinsen. Dabei ist zu beachten, dass sowohl handelsrechtlich als auch nach der Neufassung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG solche Verbindlichkeiten abzuzinsen sind, die einen verdeckten Zins enthalten. In dem hier in Rede stehenden Erfüllungsbetrag ist indes kein verdeckter Zinsanteil enthalten.
3.6.2 Ausweis als Rückstellung
Ist die Verpflichtung im Einzelfall nicht als Verbindlichkeit, sondern als Rückstellung einzuordnen, so ist handelsrechtlich eine Abzinsung des Erfüllungsrückstands vorzunehmen. Denn nach § 253 Abs. 2 HGB sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr zwingend abzuzinsen. Dazu ist der ihrer jeweiligen Restlaufzeit entsprechende durchschnittliche Marktzinssatz zu verwenden, der die Zinsentwicklung der vergangenen 7 Geschäftsjahre berücksichtigt. Der Zinssatz wird durch die Deutschen Bundesbank nach Maßgabe der Rückstellungsabzinsungsverordnung (RückAbzinsV) monatlich ermittelt und bekannt gemacht.
Steuerlich ist die Bewertung von Rückstellungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG geregelt. Danach ist eine Abzinsung mit 5,5 % vorzunehmen. Die methodische Vorgehensweise zur Berechnung der Abzinsung und zur Ableitung der sich dabei ergebenden Verpflichtungsbeträge wurde im Praxis-Beispiel für den Fall der steuerlichen Abbildung eines als Verbindlichkeit auszuweisenden Erfüllungsrückstands für Wirtschaftsjahre, die bis zum 31.12.2022 enden, dargestellt. Im Ergebnis ist eine einheitliche Bilanzierung in Handels- und Steuerbilanz im Fall der Abbildung eines Erfüllungsrückstands als Rückstellung – trotz des Abzinsungsgebots in beiden Rechenwerken – nicht möglich. Ursächlich sind die unterschiedlichen Abzinsungsregelungen für Rückstellungen in Handels- und Steuerbilanz.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf R 6.11 Abs. 3 EStR, wonach der handelsrechtliche Wert einer Rückstellung als Höchstgrenze zu betrachten ist. Dies hat der BFH mit Urteil vom 20.11.2019 auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des BilMoG bestätigt. Daher dürfen nach Rückstellungen – mit Ausnahme von Pensionsrückstellungen – in der Steuerbilanz nicht höher ausgewiesen werden als der zulässige Rückstellungsausweis in der Handelsbilanz. Begründet wird dies mit der Gesetzesformulierung "höchstens insbesondere" im Einleitungssatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG.
Zur praktischen Umsetzung dieser "Höchstgrenze" ist
- im ersten Schritt zunächst der Rückstellungswert nach den Regelungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG (steuerlicher Wert) zu ermitteln;
- im zweiten Schritt anschließend dieser Wert mit dem handelsbilanziellen Wertansatz zu vergleichen.
Der niedrigere der beiden Werte ist in der Steuerbilanz anzusetzen.
Kontierungs-Praxis-Fazit
- Für eine am Bilanzstichtag bestehende Darlehensverbindlichkeit mit steigenden Zinssätzen muss ...