Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Seit vielen Jahren erwartet, hat sich die Finanzverwaltung nun zu der Frage der rückwirkenden Rechnungsberichtigung geäußert. Nachdem sowohl der EuGH als auch der BFH die rückwirkende Rechnungsberichtigung unter bestimmten Voraussetzungen für möglich angesehen hatten, setzt die Finanzverwaltung diese Rechtsprechung jetzt weitestgehend um und gibt für die Praxis noch weitergehende Hinweise zu den Rechnungsbestandteilen.
Die rechtliche Problematik
Der Vorsteuerabzug ist für das Umsatzsteuersystem das entscheidende Element, um Unternehmer im Regelfall in der Leistungskette nicht wirtschaftlich mit Umsatzsteuer zu belasten. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist regelmäßig, dass der Unternehmer eine ordnungsgemäße Rechnung besitzt, in der die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen ist.
Der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist aber nur in den Fällen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlich. Dies sind die Fälle, in denen der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer für die Lieferung oder die sonstige Leistung schuldet. Der Vorsteuerabzug bei innergemeinschaftlichen Erwerben oder bei Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens setzt grundsätzlich überhaupt keine Rechnung voraus, da in diesen Fällen die Umsatzsteuer unmittelbar aufgrund des verwirklichten Sachverhalts beim Leistungsempfänger entsteht.
Hat ein Unternehmer aufgrund einer vorliegenden Rechnung den Vorsteuerabzug geltend gemacht und stellt sich später in einer Betriebsprüfung oder einer unangekündigten Umsatzsteuer-Nachschau heraus, dass diese Rechnung nicht alle in § 14 Abs. 4 UStG vorgegebenen Rechnungsbestandteile enthält, entbrannte in der Vergangenheit häufig der Streit darum, ob die Vorlage einer berichtigten Rechnung Wirkung für die Vergangenheit entfaltet.
Bei diesem Streit ging es zwar vorrangig um die Frage, ob die Berichtigung der Rechnung eine Wirkung für die Vergangenheit entfalten kann. Wirtschaftlich war damit allerdings in den meisten Fällen die Frage der Verzinsung nach § 233a AO verbunden. Nur bei einer Anerkennung der rückwirkenden Rechnungsberichtigung konnte eine Zinsfestsetzung vermieden werden.
Der EuGH hatte grundsätzlich in 2 Entscheidungen die rückwirkende Rechnungsberichtigung ermöglicht, die Ausgestaltung aber im Wesentlichen in die Hand der nationalen Rechtsprechung gelegt. Der BFH hatte sich dann in mehreren Verfahren mit den Voraussetzungen und den Wirkungen der rückwirkenden Rechnungsberichtigung auseinander gesetzt und insbesondere die folgenden Grundsätze festgelegt:
- Der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG setzt die Vorlage einer Rechnung voraus.
- Eine Rechnung kann mit Wirkung für die Vergangenheit berichtigt werden, wenn sie berichtigungsfähig ist. Die Berichtigungsfähigkeit setzt voraus, dass die wesentlichen Elemente der Rechnung vorhanden sind und diese Angaben nicht in einem so hohen Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sind, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen.
- Die Rechnung kann bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG berichtigt werden.
- Die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung beim Vorsteuerabzug gilt unabhängig davon, ob die Berichtigung zum Vorteil oder zum Nachteil des Leistungsempfängers wirkt.
- Auch der Stornierung einer Rechnung nebst Neuausstellung einer sie ersetzenden Rechnung kann eine solche Rückwirkung zukommen.
Die Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen
Die Finanzverwaltung nimmt in ihrem Schreiben zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung umfassend zu den Möglichkeiten des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen Stellung und ändert und ergänzt die entsprechenden Vorgaben in Abschn. 15.2a UStAE.
Grundsätzlich stellt die Finanzverwaltung fest, dass sowohl nach den unionsrechtlichen Regelungen als auch nach der nationalen Umsetzung der Besitz einer Rechnung sowohl formelle als auch materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, weil die Angabe der Steuerbelastung wesentlich für die Neutralität des Umsatzsteuerrechts ist.
Die Finanzverwaltung stellt auch klar, dass sich aus der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht ableiten lässt, dass ein Vorsteuerabzug gänzlich ohne Rechnung geltend gemacht werden kann.
Das Recht auf den Vorsteuerabzug kann jedoch ausnahmsweise auch geltend gemacht werden, wenn der Leistungsempfänger keine Rechnung besitzt, die alle formellen Voraussetzungen erfüllt und die auch nicht berichtigt wurde. Dazu muss der Unternehmer durch objektive Nachweise belegen, dass ein anderer Unternehmer an ihn tatsächlich Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt hat, für die eine Umsatzsteuer entstanden und auch tatsächlich abgeführt worden ist.
Der Nachweis, dass der leistende Unternehmer tatsächlich auf der vorausgegangenen Umsatzstufe die Umsatzsteuer entrichtet hat, kann nach der Feststellung der Finanzverwaltung aber nur über eine Rechnung oder deren Kopie mit offen ausgewiesener Umsatzsteue...