rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung wegen verfassungswidriger Nichteintragung der Lohnsteuerklassen III und V für eingetragene Lebenspartner
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach dem die Frage, ob die Nichtgewährung des Splittingvorteils aus § 32a Abs. 5 EStG an Steuerpflichtige, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, eine Verletzung des Gleichheitsgebotes nach Art. 3 Abs. 1 GG darstellt, Gegenstand dreier Verfassungsbeschwerdeverfahren (Az.: 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07) ist, bestehen ernstliche Zweifel an der Versagung der lohnsteuerrechtlichen Einstufung eingetragener Lebenspartner in die Steuerklassen III und V.
2. Die Aussetzung der Vollziehung ist auch nicht wegen Nichtvorliegens eines besonderen berechtigten Interesses an der Vollziehungsaussetzung zu verweigern. Für die Bejahung des besonderen berechtigten Interesses der Lebenspartner an der Aussetzung der Vollziehung genügt es, dass die beanstandete Ungleichbehandlung die Lebenspartnerschaft besonders trifft, was bei der zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft differenzierenden und damit an die sexuelle Orientierung von Personen anknüpfenden Regelung anzunehmen ist.
Normenkette
EStG 2009 § 38b S. 2 Nrn. 3, 5, § 39 Abs. 6 S. 3, § 32a Abs. 5, § 26b; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, § 114; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
I. Die Vollziehung des Bescheides vom 3. November 2011 wird bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens dergestalt aufgehoben und ausgesetzt, dass ab 1. Januar 2012 bei dem Antragsteller zu 1. vorläufig die Steuerklasse III und bei dem Antragsteller zu 2. vorläufig die Steuerklasse V bei dem Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigt wird.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes um die Frage, ob in den Lohnsteuerkarten von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft vorläufig die Merkmale der gemeinsamen Veranlagung nach dem Splittingtarif (Steuerklassen III und V) einzutragen sind.
Die beiden Antragsteller (nachfolgend: ASt) begründeten am 30. September 2011 vor dem Standesamt eine Lebenspartnerschaft (vgl. die Lebenspartnerschaftsurkunde auf Blatt 5 der Rechtsbehelfsakte). Sie leben nicht getrennt und sind im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Sie beziehen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die ASt beantragten am 2. November 2011 bei dem Antragsgegner (dem Finanzamt – FA –), ihre Lohnsteuerkarten insoweit zu ändern, als in die Lohnsteuerkarte des ASt zu 1. für 2012 die Steuerklasse III und für den ASt zu 2. die Steuerklasse V einzutragen sei. § 38b EStG sei eine lückenhafte Regelung, da dort zwar die Ehe, nicht jedoch die eingetragene Lebenspartnerschaft geregelt sei. Die ASt dürften jedoch nicht wie Ledige behandelt werden, da die eingetragene Lebenspartnerschaft in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht einer Ehe entspreche.
Das FA lehnte am 3. November 2011 den Antrag auf Änderung der Lohnsteuerklassen ab. Die derzeit gültige Rechtslage sehe nur die Einzelveranlagung der Lebenspartner vor, der Splittingtarif nach §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) gelte nur für den Familienstand von Ehegatten. Dem Ausgang der wegen dieser Frage anhängigen Verfahren bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) könne vorliegend nicht vorgegriffen werden. Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400) habe das Erbschaftsteuerrecht betroffen und könne nicht zur Beantwortung der Frage nach der Anwendung des Splittingtarifs auf Lebenspartner im Einkommensteuerrecht angewendet werden. Es sei jedoch möglich, einen Einkommensteuerbescheid für 2012 nach dessen Ergehen anzufechten und das Verfahren dann im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden ruhen zu lassen (vgl. Blatt 17 der Rechtsbehelfsakte).
Am 9. November 2011 legten die ASt gegen diesen Bescheid Einspruch ein und beantragten die Vollziehung der Ablehnung der Änderung der Steuerklassen wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufzuheben (vgl. Blatt 19 ff. der Rechtsbehelfsakte).
Das FA lehnte am 28. November 2011 die Aussetzung der Vollziehung ab. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ablehnungsentscheidung sei nicht ernstlich zweifelhaft. Das FA verwies in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit, gerichtliche Aussetzung der Vollziehung zu beantragen (vgl. Blatt 24 f. der Rechtsbehelfsakte). Am 5. Dezember 2011 verfolgten die ASt bei dem Sächsischen Finanzgericht ihr Begehren weiter.
Der ASt zu 2. ist seit 1. April 2012 als Arbeitnehmer beschäftigt. Das FA bestätigte dem ASt zu 2. mit Schreiben vom 18. April 2012, dass für sein Lohnsteuerabzugsverfahren ab 1. April 2012 die Steuerklasse I gelte (vgl. Blatt 25 der Gerichtsakte).
Die ASt sind der Ansicht, dass die begehrte Änderung der Steuerklassen auf den Lohnsteuerkarten für 2012 im Wege des vorläufigen Rech...