Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung wegen des Bezugs einer Halbwaisenrente. Familienleistungsausgleich
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Kindergeldberechtigte in 1992 dem Arbeitsamt mitgelteilt, dass er für sein zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre altes Kind einen Antrag auf Halbwaisenrente gestellt hat, kommt eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Jahre 1996 und 1997 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht. Ein später eingetretenes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt im Fall von Kindergeldzahlungen nur vor, wenn es nach Entstehung des Anspruches auf das Kindergeld und nach der Entscheidung der Kindergeldbehörde über den Kindergeldanspruch eingetreten ist. Auch der Bezug der Halbwaisenrente des Kindes über das 18. Lebensjahr hinaus ist kein Ereignis, das nachträglich eingetreten ist, denn die Fortzahlungspflicht des Rentenverpflichteten für den Zeitraum der Ausbildung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.
2. Eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung kann wegen Verletzung der Ermittlungspflicht der Kindergeldehörde auch nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden, wenn aufgrund des Hinweises auf den Antrag auf Halbwaisenrente die Familienkasse hätte davon ausgehen müssen, dass dem Kind in 1996 und 1997 wegen der gesetzlich geregelten Fortzahlungspflicht des Rentenverpflichteten für den Zeitraum der Ausbildung gemäß § 48 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres in 1995 hinaus tatsächlich eine Halbwaisenrente zufließen würde.
3. Eine rückwirkende Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG setzt voraus, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse nachträglich unrichtig wird.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 Nr. 2, § 88; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 70 Abs. 2; SGB VI § 48 Abs. 4 Nr. 2
Tenor
1. Der Aufhebungs- und der Rückforderungsbescheid vom 06. November 1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 1999 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (die Familienkasse) berechtigt war, die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin für die Jahre 1996 und 1997 rückwirkend aufzuheben.
Die Klägerin ist Mutter der am 28. Februar 1977 geborenen S.S. und seit dem Tod ihres Ehemannes im Januar 1992 Kindergeldberechtigte. S.bezog ab 1992 eine Halbwaisenrente. In 1996 betrug die Halbwaisenrente 11.774,00 DM (Bl. 91f. KiG-A) und in 1997 12.122,00 DM (Bl. 74 KiG-A).
Im Antrag auf laufende Zahlung des Kindergeldzuschlages nach dem voraussichtlichen Einkommen im Jahre 1992 vom 03. März 1992 teilte die Klägerin dem Arbeitsamt mit, dass sie einen Antrag auf Halbwaisenrente gestellt habe (Bl. 8 R KiG-A). Mit Schreiben vom 14. Dezember 1992 (Bl. 20 KiG-A) und 25. Januar 1993 (Bl. 24 KiG-A) bat die Klägerin das Arbeitsamt um Auskunft, ob sie den Anspruch auf Kindergeldzuschlag behalte, wenn die Tochter Halbwaisenrente beziehe. Im Schreiben vom 29. Januar 1993 wies das Arbeitsamt darauf hin, dass die Zahlung einer Halbwaisenrente für die Frage der Gewährung von Kindergeld und Kindergeldzuschlag „uninteressant” sei (Bl. 29 KiG-A).
In einem der Klägerin zugesandten Informationsblatt über die ab Januar 1996 geltende Rechtslage (Bl.111 f. FG-A) wurden beispielhaft mitteilungspflichtige Einkünfte und Bezüge aufgeführt. Einen Hinweis, dass Waisenrenten nunmehr zu den mitteilungspflichtigen Einkünften und Bezügen gehörten, enthielt das Informationsblatt nicht. Ein der Klägerin zusätzlich zum vorgenannten Informationsblatt jeweils im Oktober der Jahre 1996 und 1997 zugegangenes Anschreiben des Beklagten (Bl. 65 FG-A) enthielt ebenfalls keinen Hinweis darauf, dass mit der Geltung des Einkommensteuergesetzes -EStG- im Gegensatz zum Bundeskindergeldgesetz -BKG- der Bezug einer Halbwaisenrente zu den mitteilungspflichtigen Einnahmen gehöre. Auch sonst war die Klägerin weder über einen Vordruck noch über eine Einzelinformation darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der Bezug einer Halbwaisenrente ab 1996 anzeigepflichtig war.
Der Beklagte bewilligte die Zahlung von Kindergeld jeweils mittels interner Verfügungen vom 07. September 1995, 24. Juni 1996 und 27. November 1996 befristet bis zum Juli 1996 (Bl. 63 KiG-A), Dezember 1996 (Bl. 67 KiG-A) und Dezember 1997 (Bl. 69 KiG-A). Angaben daüber, dass S.eine Halbwaisenrente bezog, machte die Klägerin nicht.
Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 29. Juli 1998 vom Finanzamt über die Höhe der in 1996 und 1997 bezogenen Halbwaisenrente informiert worden war, hob er die Kindergeldfestsetzungen mit Bescheid vom 06. November 1998 mit Wirkung vom 01. Januar 1996 für die Jahre 1996 i.H.v. 2.400,00 DM und für 1997 i.H.v. 2.640,00 DM, insgesamt 5.040,00 DM, gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung -AO- auf und forderte die Rückzahlung dieses Betrages nach § 37 Abs. 2 AO. Den dagegen er...