Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung des Kindergeldes an das gegenüber den Eltern nicht unterhaltsberechtigte Kind. Bindungswirkung der vormundschaftsgerichtlichen Bestimmung des Kindergeldberechtigten. kein Unterhaltsanspruch des schuldunfähigen, in psychiatrischem Krankenhaus untergebrachten Sohnes. Familienleistungsausgleich. Abzweigung von Kindergeld bei Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht infolge fehlender Bedürftigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist der Kindergeldberechtigte mangels Bedürftigkeit des Kindes zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtig und leistet er auch tatsächlich keinen Unterhalt, so kann das gegenüber dem Kindergeldberechtigten festgesetzte Kindergeld im Weg einer analogen Anwendung von § 74 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 3 EStG an das Kind abgezweigt werden.
2. Eine Bestimmung des Kindergeldberechtigten durch das Vormundschaftsgericht hat nur im gesetzlich geregelten Fall (§ 64 Abs. 2 S. 3 EStG) Bindungswirkung; daraus ergibt sich keine Annexkompetenz zur Regelung weiterer kindergeldrechtlicher Fragen. Das Finanzgericht kann daher über einen Abzweigungsantrag frei und ohne Bindung an eine frühere vormundschaftsgerichtliche Entscheidung urteilen.
3. Wird der schuldunfähige Sohn nach einer Straftat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (Maßregelvollzug), so besteht infolge der dort gewährten Leistungen (Verpflegung, Unterkunft, Taschen- und Kleidergeld) keine Unterhaltspflicht der Eltern.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1-3, § 64 Abs. 2 S. 3; BGB § 1602; EStG 2002 § 74 Abs. 1 Sätze 1-3, § 64 Abs. 2 S. 3, § 76
Tenor
Der die Abzweigung des der Beigeladenen für den Kläger gewährten Kindergeldes an den Kläger beendende Bescheid vom 26.08.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Abzweigung des Kindergeldes an das Kind nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 Einkommensteuergesetz -EStG- auch dann erfolgt, wenn der Kindergeldberechtigte keinen Unterhalt leistet, dazu mangels Bedürftigkeit des Kindes zivilrechtlich aber auch nicht verpflichtet ist.
Der am 06.06.1979 geborene Kläger ist der Sohn der Beigeladenen, die für ihn Kindergeld erhält. Mit Beschluss vom 04.02.1998 bestimmte das Amtsgericht L – Vormundschaftsgericht – in der Kindergeldberechtigungssache des Klägers die Beigeladene zur Kindergeldberechtigten und ordnete die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger an. Unter dem 03.09.1998 beantragte der Kläger die Abzweigung des Kindergeldes, weil die Beigeladene keinen Unterhalt leiste. Mit an die Beigeladene adressierten Bescheid vom 19.11.1998 entsprach der Beklagte dem Abzweigungsantrag.
Mit Urteil vom 01.03.2002 ordnete das Landgericht G – 2. Große Strafkammer – die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Seit dem 15.03.2002 befindet sich der Kläger im Maßregelvollzug im psychiatrischen Krankenhaus A.
Mit an den Betreuer des Klägers adressiertem Bescheid vom 26.08.2002 regelte der Beklagte, dass der Abzweigung des Kindergeldes an den Kläger ab April 2002 nicht (mehr) entsprochen werde. Der Kläger befinde sich in Haft. Es liege deshalb mangels Bedürftigkeit kein Unterhaltsanspruch vor, weshalb die Beigeladene ihre Unterhaltspflicht auch nicht verletze. Den dagegen gerichteten Einspruch des Klägers vom 20.09.2002 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11.12.2002 als unbegründet zurück.
Am 20.12.2002 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger sei auch während seiner Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bedürftig. Das bezahlte Taschengeld und Kleidergeld sei nicht ausreichend. Im übrigen habe der Beschluss des Amtsgericht L vom 04.02.1998 weiterhin Geltung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 26.08.2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2002 aufzuheben und dem Kläger Kindergeld unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ab dem 01.04.2002 weiter zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Kindergeld werde gezahlt, um das Existenzminimum des Kindes steuerlich freizustellen. Die Belastung der Eltern durch Unterhaltsgewährung solle ausgeglichen werden.
Die Abzweigung des Kindergeldes setze voraus, dass ein Kindergeldanspruch bestehe und der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nicht nachkomme. Unterhaltsberechtigt sei aber nur, wer außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. In der zivilrechtlichen Kommentarliteratur sei anerkannt, dass die Strafhaft regelmäßig die Bedürftigkeit beseitige. Daran ändere sich auch nichts, wenn das Kind im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sei.
Eine Analo...