Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständige Steuerfreiheit von Gewinnausschüttungen nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bei Hinzuerwerb von teils unter, teils über 10 % liegenden Beteiligungen an der ausschüttenden Kapitalgesellschaft im Jahr der Gewinnausschüttung
Leitsatz (redaktionell)
Erwirbt eine Kapitalgesellschaft 1 in einem Wirtschaftsjahr in getrennten Verträgen Beteiligungen an einer anderen Kapitalgesellschaft 2, die teils über und teils unter 10 % liegen, so sind die jeweils über 10 % liegenden Anteilserwerbe nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG auf den Beginn des Kalenderjahres rückzubeziehen mit der Folge, dass das Tatbestandsmerkmal in § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG „Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals” insgesamt, also auch bezüglich der unter 10 % liegenden Anteilswerbe, nicht erfüllt ist. In diesem Wirtschaftsjahr von der Kapitalgesellschaft 2 vorgenommene Gewinnausschüttungen sind daher nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bei der Kapitalgesellschaft 1 vollständig steuerfrei und nicht nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG teilweise steuerpflichtig, sowie sie auf die jeweils unter 10 % liegenden Anteilserwerbe entfallen.
Normenkette
KStG § 8b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Sätze 1, 6
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid über Körperschaftsteuer für 2015 vom 30.04.2018 und der Bescheid über Gewerbesteuermessbetrag für 2015 vom 30.04.2018 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2020 werden aufgehoben.
Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Umfang der Steuerfreiheit von Dividendeneinkünften gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 KStG.
An der M. GmbH waren K. (K), H. (H) und G. (G) mit einem Geschäftsanteil zu je 25 % beteiligt. Ein vierter Gesellschafter übertrug im Jahr 2014 insgesamt zehn Prozent seiner Beteiligung auf G, H und K. Im Übertragungsvorgang wurden Geschäftsanteile zu 2 × 3,27 % und 1 × 3,46 % gebildet, die G, H und K allein erwerbend erhielten.
Mit notarieller Urkunde des Notars Dr. R. (UR-Nr. a)) vom 25. Februar 2015 übertrugen G, H und K ihre Geschäftsanteile von 3,27 % bzw. 3,46 % auf die Klägerin. Mit weiterer notarieller Urkunde vom selben Tag (UR-Nr. b)) übertrugen G, H und K auch ihre Geschäftsanteile zu je 25 % auf die Klägerin. Damit hielt die Klägerin seit dem 25. Februar 2015 85 % der Geschäftsanteile der M. GmbH.
Mit Beschluss vom 30. März 2015 schüttete die M. GmbH an die Klägerin Gewinn in Höhe von 484.500 Euro aus. In den Steuererklärungen der Klägerin für das Jahr 2015 wurde dieser Bezug als steuerfrei behandelt. Es ergingen am 10. April 2017 entsprechende Bescheide über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nach einer Betriebsprüfung änderte der Beklagte die Bescheide. Eine Steuerfreiheit der von der M. GmbH bezogenen Dividende wurde in Höhe von 57.000 Euro nicht mehr anerkannt. Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2020 als unbegründet zurückgewiesen. Die auf die Klägerin übertragenen Geschäftsanteile an der M. GmbH seien getrennt zu betrachten. Der Erwerb von Geschäftsanteile zu 3,27% bzw. zu 3,46 % erreichten die 10 % – Grenze nicht, so dass § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG nicht anzuwenden sei. Demzufolge seien 10/85 der Gewinnausschüttung als steuerpflichtig zu behandeln.
Im mit der Klageschrift vom 19. Juni 2020 eingeleiteten finanzgerichtlichen Verfahren beruft sich die Klägerin darauf, dass bei unterjährigem Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG der Erwerb als zu Beginn des Kalenderjahres bewirkt gelte. Es lägen demnach im Jahr 2015 keine Streubesitzanteile vor. Dass im Jahr 2015 weitere Anteile an der M. GmbH in Höhe von 3,27 % und von 3,46 % hinzuerworben wurden, sei für die Steuerbefreiung nicht von Bedeutung.
Die Klägerin beantragt, die Bescheide vom 30.04.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass der Erwerb der sechs Geschäftsanteile an der M. GmbH getrennt zu beurteilen sei und deshalb die Gewinnausschüttung, insoweit sie in Anbetracht von Geschäftsanteilen erfolgt, welche weniger als 10 % des Stammkapitals betragen, als steuerpflichtig behandelt werden müsse.
Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten des Beklagten wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Sie sind nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben.
Die Gewinnausschüttung der M. GmbH ist bei der Klägerin (vorbehaltlich des in den Bescheiden vom 10. April 2017 berücksichtigten § 8b Abs. 5 KStG) nicht nur teilweise, wie das Finanzamt...