rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Tochter gegenüber dem mit der Mutter nicht zusammenlebenden Vater bei der Ermittlung der kindergeldrechtlichen Einkünfte und Bezüge
Leitsatz (redaktionell)
Setzt die volljährige Tochter nach der Geburt eines eigenen Kindes ihre Berufsausbildung fort, erhält sie vom Kindsvater nur für das Kind, nicht aber für sich selbst Unterhalt und hat sie keinen Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 BGB gegenüber dem mit ihr nicht verheirateten und auch nicht zusammenlebenden Vater des Kindes, weil sie eine Erwerbstätigkeit nicht zugunsten der persönlichen Betreuung ihres Kindes nicht ausgeübt hat, sondern aus dem persönlich motivierten und nicht auf das Kindeswohl bezogenen Grund, eine Ausbildung durchzuführen, so ist bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG in der vor 2012 gültigen Gesetzesfassung kein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kindsvater zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG 2007 § 32 Abs. 4 Sätze 2, 7, 9, 1 Nr. 2 Buchst. a; BGB § 1615l Abs. 2-3
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 04.10.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2012 verpflichtet, Kindergeld für dass Kind A. für den Zeitraum August 2011 bis Dezember 2011 zugunsten der Klägerin festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 80 v. H. der Beklagten und zu 20 v. H. der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob bei den Einkünften und Bezügen der Tochter der Klägerin im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 und Satz 9 Einkommensteuergesetz – EStG – fiktive Unterhaltszahlungen des mit ihr nicht verheirateten oder zusammen lebenden Vaters des am 16.09.2009 geborenen Kindeskindes J. H. zu berücksichtigen sind.
Die am 15.05.1987 geborene Tochter der Klägerin A. unterbrach im Sommer 2009 wegen der Geburt ihrer Tochter ihre schulische Vollzeitausbildung am L.K., die sie seit August 2011 bis voraussichtlich Juli 2014 fortsetzt. Sie erhält seit August 2011 Bafög in Höhe des Grundbedarfs von 572 EUR zuzüglich sonstige Zusatzleistungen in Höhe von 113 EUR. Der Vater von J. zahlt zu Händen der Tochter der Klägerin Kindesunterhalt, nicht jedoch Unterhalt für die Tochter der Klägerin.
Am 27.07.2011 beantragte die Klägerin ab August 2011 Kindergeld für ihre Tochter A.. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.10.2011 ab, weil nicht mehr die Eltern des Kindes, sondern der Vater des Kindeskindes nach § 1615l Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – zum Unterhalt verpflichtet sei. Den dagegen am 17.10.2011 eingelegten Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2012 als unbegründet zurück. Bei den Einkünften und Bezügen des Kindes A. in Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ging er davon aus, dass die als Bafög gewährte sonstige Zusatzleistung in Höhe von 113 EUR für die Kinderbetreuungskosten gewährt werde. Vor diesem Hintergrund berücksichtigte er den Grundbedarf in Höhe von 572 EUR abzüglich der monatlichen Kostenpauschale von 15 EUR und abzüglich des um das Kindergeld verminderten hälftigen Kinderfreibetrages für J. in Höhe von 200 EUR, mithin Bezüge in Höhe von 357 EUR. Zudem berücksichtigte er einen nach dem Halbteilungsgrundsatz ermittelten fiktiven Unterhaltsanspruch gegen den Vater von J. in Höhe von 409,10 EUR monatlich als Einkünfte der Tochter der Klägerin, mithin also Einkünfte und Bezüge in Höhe von 766,10 EUR monatlich, die den monatlichen Grenzbetrag von 667 EUR überstiegen.
Am 05.04.2012 hatte die Klägerin Klage erhoben, mit der sie zunächst Kindergeld für August 2011 bis Mai 2012 begehrt hat.
Die Tochter der Kläger erhalte für sich keinen Unterhalt vom Vater von J. und habe hierauf auch keinen Anspruch. Es liege nicht so, dass von A. im Sinne von § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB wegen der Pflege oder Erziehung von J. eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden könne. Vielmehr hindere der persönlich motivierte nicht auf das Kindeswohl bezogene Wunsch A.s, eine Ausbildung durchzuführen, die Tochter der Klägerin an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Das Kind werde ganztägig in einer Kindertageseinrichtung betreut. Die Klägerin verweist auf das FG Münster, Urteil vom 17.06.2010 11 K 2790/09 Kg, und auf das Niedersächsische Finanzgericht, Urteil vom 27.06.2011 16 K 123/11.
Im Übrigen dürfe ein Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 und 3 BGB nicht nach dem Halbteilungsgrundsatz berechnet werden, weil der Vater des Kindeskindes nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Insofern verweist die Klägerin auf das Sächsische Finanzgericht 8. Senat, Urteil vom 12.05.2010 8 K 1528/09 (Kg).
Mit Bescheid vom 19.09.2012 hat der Beklagte der Klage teilweise abgeholfen und ab Januar 2012 Kindergeld für A. festgesetzt....