Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung des Widerspruchsrechts gegen Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Zuwarten mit der Widerspruchserklärung in der Insolvenz der Betriebserwerberin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 613 a Abs. 6 BGB gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin kann verwirken (§ 242 BGB).

2. Für die Erfüllung des Zeitmoments ist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Arbeitnehmer von der nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung Kenntnis erlangt hat; für die Betrachtung maßgebend ist vielmehr der fiktive Ablauf der Widerspruchsfrist (ein Monat nach der Unterrichtung über den Betriebsübergang) bis zur Widerspruchserklärung.

3. Das Zeitmoment ist erfüllt, wenn der Arbeitnehmer im Hinblick auf das Unterrichtungsschreiben vom 18.11.2004 sowie des einen Monat später beginnenden Zeitraums erst mit Schreiben vom 26.03.2009 (und damit erst nach über vier Jahren) Widerspruch einlegt.

4. Wird über das Vermögen der Betriebserwerberin das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet und drängt sich damit aus der Sicht der Beschäftigen nicht nur die Gefährdung fortlaufender Gehaltszahlungen sondern vor allem auch der Bestand der Arbeitsverhältnisse auf, gibt der Arbeitnehmer durch Gehaltsabtretungen zur Sicherung der Lohnersatzleistungen zu erkennen, dass er die Betriebserwerberin und Insolvenzschuldnerin als seine Arbeitgeberin akzeptiert, insbesondere wenn er nach der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens mit der Erklärung des Widerspruchs (vom 26.03.2009) etwa zwei Monate wartet.

5. Da die Betriebsveräußerin davon ausgehen darf, dass der Arbeitnehmer spätestens aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage der Betriebserwerberin ein (vermeintliches) Widerspruchsrecht unverzüglich ausübt (soweit er die Erwerberin nicht als seine Arbeitgeberin anerkennt), stellt sich ein knapp zweimonatiges Zuwarten als eine beachtliche Disposition des Arbeitnehmers über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses und damit aus der Sicht der Betriebsveräußerin (wie auch der Betriebserwerberin) als umstandsbegründendes Ereignis im Sinne einer Verwirkung des Widerspruchsrechts dar.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611 Abs. 1, § 613a Abs. 5, 6 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Urteil vom 24.03.2010; Aktenzeichen 3 Ca 2585/09)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 24.03.2010 – 3 Ca 2585/09 – wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den 31.12.2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht. Der Kläger begehrt außerdem, zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Operator beschäftigt zu werden.

Der am …1972 geborene Kläger wurde zum 15.04.1996 bei der … GmbH & Co. OHG als Operator eingestellt. Seit 01.04.1999 firmierte die Arbeitgeberin als … GmbH & Co. OHG, der Rechtsvorgängerin der Beklagten.

Zum 01.01.2005 erfolgte die Ausgliederung und Übertragung u. a. des Bereichs Backend auf die … GmbH & Co. OHG. Mit Schreiben der … GmbH & Co. OHG vom 18.11.2004 (Bl. 11 f. d. A.) wurde der Kläger über die näheren Umstände der Übertragung unterrichtet. Zum 01.05.2006 erfolgte eine Umfirmierung in … GmbH & Co. OHG.

Mit dem Kläger wurden jährlich Beurteilungs- und Personalentwicklungsgespräche geführt. Auf Wunsch des Klägers wurde das Zwischenzeugnis vom 08.12.2008 (Bl. 72 d. A.) ausgestellt.

Im Januar 2009 wurde Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Am 23.01.2009 wurde das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss des AG München vom 01.04.2009 wurde über das Vermögen der … GmbH & Co. OHG das Insolvenzverfahren eröffnet.

Zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes traten die Arbeitnehmer der … GmbH & Co. OHG – auch der Kläger – Nettolohnansprüche für Januar 2009 teilweise an die … AG ab.

Mit Schreiben vom 26.03.2009 (Bl. 13 d. A.) widersprach der Kläger dem zum 01.01.2005 erfolgten Betriebsübergang. Die Beklagte trat mit Schreiben vom 01.04.2009 (Bl. 14 d. A.) dem Begehren des Klägers entgegen.

Am 27.03.2009 (Bl. 15 ff. d. A.) vereinbarten der Kläger, der Insolvenzverwalter der … GmbH & Co. OHG und die … gGmbH (im Folgenden: …) u. a. die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2009 sowie die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der … zum 01.04.2009.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er wirksam widersprochen habe.

Sein Arbeitsverhältnis sei daher nicht auf die … GmbH & Co. OHG bzw. … GmbH & Co. OHG übergegangen, sondern bei der Beklagten verblieben. Das Unterrichtungsschreiben vom 18.11.2004 sei nicht ordnungsgemäß. Das Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt. Es fehle bereits an der Verwirklichung des Zeitmoments. Der Kläger habe keine Kenntnis vom Bestehen eines Widerspruchsrechts gehabt. Dies sei Voraussetzung für die Erfüllung des Zeitmoments. Auch das Umstandsmoment sei nicht verwirklicht. Der Abschluss von Zielvereinbarungen führe nicht zur Verwirklichung.

Es handel...

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