Dr. Christian Briem, Martin Esch
1.1 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Steuerung von Versicherungsunternehmen
Digitalisierung von Steuerungsprozessen in Versicherungsbranche angekommen
Durch die fortschreitende Digitalisierung ergeben sich neue Chancen für die Steuerung von Versicherungsunternehmen. Der technologische Fortschritt und die steigende zentrale Verfügbarkeit verschiedenster Datenarten und -formate ermöglichen die Sammlung und Berücksichtigung einer Vielzahl von Informationen in der Unternehmenssteuerung. In diesem Rahmen können auf Basis von stochastischen Modellen mehrdimensionale und nichtlineare Zusammenhänge abgebildet werden, die letztlich zu einer verbesserten und zukunftsorientierten Analyse und Prognose führen und einen wertvollen Bestandteil für Management-Entscheidungen darstellen (Advanced Analytics).
Des Weiteren ermöglicht das In-Memory-Computing durch die Verlagerung von Datenbankprozessen von Festplatten in großdimensionierte Arbeitsspeicher die Beseitigung von performancebezogenen Engpässen in der Datenverarbeitung und erlaubt es somit, komplexe Analysen integriert und in einem Bruchteil der Zeit abzubilden.
Gleichzeitig ergeben sich durch die Digitalisierung aber auch Herausforderungen. Die immer komplexeren Ansätze in der Unternehmenssteuerung und -planung werden immer schwerer zu kontrollieren und die verschiedenen Zahlengrundlagen immer komplizierter überzuleiten. Die Bewältigung dieser Herausforderungen wird durch die heutzutage noch häufig fragmentierte IT-Landschaft von Versicherungsunternehmen zusätzlich erschwert.
Vor diesem Hintergrund sollte die zukünftige Steuerung von Versicherungsunternehmen folgende Aspekte ermöglichen:
- Sie soll stärker zukunftsorientiert ausgerichtet sein und eine dynamische Anpassung an sich ändernde (regulatorische) Rahmenbedingungen und Geschäftsmodelle ermöglichen.
- Sie soll integriert sein und insbesondere die Forecast-, und Simulationsprozesse auf einer einheitlichen Plattform und auf Basis vielfältiger Daten und Datenquellen ermöglichen.
- Sie sollte kollaborativ und interaktiv sein. Sie sollte einen direkten Austausch zwischen Entscheidern über alle Steuerungszyklen hinweg und innerhalb eines Systems ermöglichen und dabei auch mobile Dashboard-Lösungen und eine individuell konfigurierbare Selbstversorgung mit Informationen ermöglichen.
1.2 SAP R/3: Standard-Softwarelösung für Versicherungen im deutschsprachigen Raum – Eine Einschätzung
Accounting und Controlling in getrennten Modulen abgebildet
Derzeit kann SAP R/3 als Standardlösung für ERP Systeme in der Versicherungsbranche betrachtet werden. In der aktuellen Version ECC 6.0 stellt das Modul FI die Standardlösung für die Finanzbuchhaltung dar. Im Controlling hingegen wird – vor allem für die Kostenrechnung (Plan-/Ist-Kostenrechnung) – SAP-CO eingesetzt. Diese 2 Basiskomponenten können je nach Bedarf um versicherungsspezifische Anwendungen aus der Branchenlösung "Insurance" ergänzt werden.
Für einen Vergleich der klassischen Anwendungen im R/3 mit moderneren Anwendungen auf S/4HANA ist zunächst ein kurzer Exkurs zur Architektur notwendig. OLTP (Online Transaction Processing) bezeichnet ein Benutzungsparadigma von Datenbanksystemen und Geschäftsanwendungen, bei dem die Verarbeitung von Transaktionen ohne nennenswerte Zeitverzögerung stattfindet. OLAP (Online Analytical Processing) gehört zu den Methoden der analytischen Informationssysteme.
Während OLAP-Systeme in diesem Zusammenhang oft die technologische Grundlage für aktuelle Business-Intelligence-Anwendungen bilden, werden im OLTP grundlegende transaktionale Prozesse durchgeführt und abgebildet. Zur Analyse, Planung und Entscheidungsunterstützung werden Daten aus verschiedenen OLTP-Quellen im OLAP zur Verfügung gestellt und mehrdimensional aufbereitet. Diese Systemarchitektur bedingt in der Praxis den Einsatz von Staging-Datenbanken und den Einsatz von ETL-Prozessen (Extract, Transform, Load), in denen Daten für eine aggregierte Analyse aus verschiedenen Quelldatenbanken konsolidiert und anschließend in einer Zieldatenbank innerhalb des Business Warehouse abgelegt werden (s. Abb. 1).
Aus diesen Prozessen resultiert eine deutlich verzögerte Verfügbarkeit von Daten zu Analysezwecken. Vor diesem Hintergrund kann eine erste Bewertung der Anwendungen hinsichtlich ihrer Angemessenheit für eine moderne Unternehmenssteuerung im Kontext der Digitalisierung erfolgen.
Abb. 1: Architektur SAP ERP
1.3 Fazit: SAP R/3 für eine moderne Unternehmenssteuerung nicht mehr zeitgemäß
Verminderte Integrationsfähigkeit und mangelnde Agilität
Im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung und die Anforderungen an eine moderne Steuerung in der Versicherungsindustrie kann festgehalten werden, dass die Systemarchitektur von SAP R/3 den Anforderungen der Branche nicht mehr gerecht wird. Im Wesentlichen bedingt die Systemarchitektur von SAP R/3 eine verminderte Integrationsfähigkeit verschiedener Datenquellen und dadurch auch eine mangelnde Agilität gegenüber dynamischen Rahmenbedingungen. Sie erschwert die durchgängige Zusammenfassung von Steuerungszyklen und -prozessen auf einer Plattform. Die strikte Trennung in OLTP und OLAP und die daraus resultierenden aufwendigen ETL-Prozesse reduzieren darüber hinaus die Datenverfügbarkeit für eine individuelle Inform...