Leitsatz
1. Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten besteht. Der Nießbrauch des Schenkers erhält einen Rang nach dem Nießbrauch des Dritten. § 6 Abs. 1 BewG gilt nicht für einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch.
2. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind der vorrangige und der nachrangige lebenslange Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal mit dem höheren Vervielfältiger gemäß § 14 BewG zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 12 Abs. 1 ErbStG, § 25 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 ErbStG 1997, § 6 Abs. 1, § 14 BewG, § 158 Abs. 1 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin war Gesellschafterin einer GbR. Ihren Gesellschaftsanteil hatte sie schenkweise von ihrer Mutter (M) unter dem Vorbehalt des lebenslangen Nießbrauchs erhalten. Im Jahr 2008 übertrug sie u.a. die Hälfte dieses Anteils schenkweise auf ihre Tochter S und behielt sich den lebenslangen Nießbrauch im Nachrang zum Nießbrauch von M vor. Der ihr zustehende Nießbrauch sollte sich erst mit dem Ende des Nießbrauchs von M auswirken.
Das FA berücksichtigte bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für den Erwerb der S gegenüber der Klägerin lediglich den Nießbrauch der M, nicht aber den Nießbrauch der Klägerin. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Nach Ansicht des FG ist der Nießbrauch der Klägerin aufschiebend bedingt i.S.d. § 6 Abs. 1 BewG mit der Folge, dass eine Steuerstundung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 ErbStG a.F. ausscheide (FG München, Urteil vom 15.11.2017, 4 K 204/15, Haufe-Index 13037892).
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision der Klägerin das FG-Urteil auf und änderte den angefochtenen Schenkungsteuerbescheid dahingehend, dass der anteilige Kapitalwert des zugunsten der Klägerin bestellten Nießbrauchs, gemindert um den anteiligen Kapitalwert des zugunsten M bestellten Nießbrauchs, die Grundlage für die zinslos zu stundende Steuer und den Ablösebetrag für die gestundete Steuer nach § 25 ErbStG a.F. bildet. Das FG habe § 6 Abs. 1 BewG aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen zu Unrecht angewandt.
Hinweis
1. Bei einer Schenkung gilt als steuerpflichtiger Erwerb grundsätzlich die Bereicherung des Bedachten (§ 1 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Hat sich der Zuwendende ein dingliches Nutzungsrecht (Nießbrauch, hier: § 1068 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 1030ff. BGB) am Zuwendungsgegenstand vorbehalten, ist diese vorübergehende Einschränkung der Bereicherung durch Abzug der Last zu berücksichtigen, wenn ein gesetzliches Abzugsverbot nicht entgegensteht.
2. Gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 BewG werden Lasten, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängt, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs nicht berücksichtigt. Erst wenn die Bedingung eintritt, ist eine Schenkungsteuerfestsetzung auf Antrag nach dem tatsächlichen Wert des Erwerbs zu berichtigen (§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 BewG).
a) § 6 Abs. 1 BewG untersagt den Abzug von Verpflichtungen, die am Bewertungsstichtag zivilrechtlich (noch) nicht entstanden sind. Die Norm stellt ihrem Wortlaut nach auf die rechtliche "Entstehung" der Verpflichtungen, nicht auf die Möglichkeit ihrer Geltendmachung oder zwangsweisen Durchsetzung durch den Berechtigten ab.
b) Mit dem Ausdruck "Bedingung" knüpft § 6 Abs. 1 BewG an das bürgerliche Recht an. Bedingung ist danach die einem Rechtsgeschäft beigefügte Bestimmung, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängen. Gemäß § 158 Abs. 1 BGB tritt die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig gemachte Wirkung des Rechtsgeschäfts erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Solange die Bedingung nicht eingetreten ist, liegt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Ungewissen bzw. schwebt.
c) Behält sich ein Schenker den Nießbrauch vor, obwohl der Zuwendungsgegenstand bereits mit dem Nießbrauch eines Dritten belastet ist, hängt die Entstehung des Nießbrauchs des Schenkers nicht vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung i.S.v. § 158 Abs. 1 BGB, § 6 Abs. 1 BewG ab. Der Nießbrauch des Schenkers entsteht vielmehr mit der Schenkung und erhält einen Rang nach dem älteren Nießbrauch. Die Nachrangigkeit hat zur Folge, dass der Nießbrauch des Schenkers zunächst nicht geltend gemacht oder zwangsweise durchgesetzt werden kann. Seine zivilrechtliche Entstehung wird durch die Existenz des älteren Nießbrauchs aber nicht verhindert. Für eine entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 1 BewG auf einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch besteht kein Anlass.
d) Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten danach grundsätzlich auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten besteht. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind die Nutzungsrechte in der Weise zu berücksichtigen, dass der vorrangige und der nachrangige Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal, aber mi...