Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (amtlich)
Die Heileurythmie ist keine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode im Sinne des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV. Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen reicht im Streitfall die vor den Behandlungen ausgestellte ärztliche Verordnung nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV aus.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1; EStDV § 64 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. f, § 84 Abs. 3 f; SGB V § 2 Abs. 1, § 32 Abs. 1, § 34 Abs. 4; UStG § 4 Nr. 14
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz steuermindernd zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin ist Pensionärin. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2009 machte sie u. a. folgende Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG geltend:
36 heileurythmische Behandlungen a 45 Minuten a 45 Euro = 1.620 €.
Hierzu legte die Klägerin ärztliche Verordnungen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. A vom 16. Januar, 25. Mai und vom 12. September 2009 vor, auf denen jeweils „12 x Heileurythmie“ verordnet wird und als Diagnose „Z. n. Discusprolaps“ (= Bandscheibenvorfall) sowie chronisch rezidives LWS-Syndrom (= chronisch wiederkehrendes Syndrom der Lendenwirbelsäule) vermerkt ist. Darüber hinaus reichte die Klägerin drei Rechnungen der Heileurythmistin B vom 12. Mai 2009, vom 8. September 2009 und vom 1. März 2010 über jeweils 12 Behandlungen über 540 € ein.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 20. September 2010 setzte das beklagte Finanzamt die Einkommensteuer auf 3.716 € fest. Dabei berücksichtigte es außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.576 €. Die geltend gemachten Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen berücksichtige das Finanzamt dabei nicht.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass ihre Aufwendungen für die ärztlich verordneten Heilbehandlungen berücksichtigt werden müssten, da auch zwei Krankenkassen diese Behandlungen aus dem Bereich der anerkannten Naturheilverfahren erstatten würden.
Mit nach § 172 AO aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändertem Einkommensteuerbescheid für 2009 wurde die Einkommensteuer auf 3.626 € festgesetzt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 8. März 2011 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass kein hinreichender Nachweis bestehe, dass die Behandlungen im Falle der Klägerin aus ärztlicher Sicht eine zwingend medizinisch notwendige und angemessene Methode zur Behandlung gewesen seien. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 8. April 2011 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, sie leide seit mehreren Jahrzehnten an einem Zustand der Multi-Morbidität u. a. mit schwerem chronischem Schmerzsyndrom, Zustand nach operiertem lumbalen Bandscheibenvorfall und Polytraumatisierung infolge hochgradiger Gangunsicherheit durch zahlreiche Stürze mit Frakturen, Sehnenrissen, schweren Prellungen und/oder Gehirnerschütterung. Insoweit verweist sie auf die ärztliche Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. med. A vom 8. Juni 2011. Aufgrund des angeführten chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms habe der Arzt Dr. A u. a. insgesamt 36 Heileurythmiebehandlungen verordnet. Bei der Heileurhythmie handele es sich um eine nichtärztliche Bewegungstherapie innerhalb der anthroposophischen Medizin. Sie stelle also eine spezifische Behandlungsmethode innerhalb der Therapierichtung der anthroposophischen Medizin dar. Sie werde in Einzelbehandlungen von entsprechend qualifizierten Therapeuten (Heileurythmisten), die den Patienten in spezifische therapeutische Körperbewegungen einweisen, ausgeführt.
Die Grundelemente der Heileurythmie seien die in Bewegung umgewandelten Laute unserer Sprache, die je nach Indikation und therapeutischer Zielsetzung spezifisch angewandt würden. Die Gestaltungsdynamik, die in der Lautbildung, d. h. im Aussprechen von Vokalen und Konsonanten, enthalten sei, werde in der Heileurythmie in Bewegung umgesetzt und erlebbar gemacht. Heileurythmie werde seit mehreren Jahrzehnten auf ärztliche Verordnung sowohl im ambulanten, stationären und palliativen Bereich u. a. bei akuten, chronischen oder degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, des Herz-Kreislaufssystems, des Stoffwechselsystems und des Bewegungsapparates angewendet. Zur näheren Erläuterung werde auf die als Anlage 6 beigefügte „Leitlinie zur Methode der Heileurythmie“ des Berufsverbands Heileurythmie e. V. verwiesen.
Bei der anthroposophischen Medizin handele es sich neben der Homöopathie um die Therapierichtung, die als sogenannte „besondere Therapierichtung“ durch den Gesetzgeber sowohl im Arzneimittelgesetz als auch im V. Sozialgesetzbuch (SGB V) eine besondere gesetzliche Anerken...