Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Zinsverzicht bei Zahlung wenige Tage vor Ablauf der Stundung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verzicht auf die Erhebung von Stundungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 234 Abs. 2 AO kommt nicht in Betracht, wenn der Steueranspruch sechs Tage vor Ablauf der gewährten Stundung durch Zahlung erfüllt wird.
2. Der Zinsverzicht bei vorzeitiger Zahlung wird durch die ermessenslenkende Verwaltungsanweisung in Nr. 1 Abs. 2 AEAO zu § 234 AO in sachgerechter Weise auf solche Zahlungen beschränkt, die mehr als einen Monat vor Ablauf der Stundung geleistet werden.
3. Sachliche Billigkeitsgründe für eine taggenaue Berechnung des Zinsverzichts liegen auch bei einem täglichen Zinsbetrag von 4.360 € nicht vor, da die Erhebung der Stundungszinsen insoweit nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstößt.
Normenkette
AO § 234 Abs. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Stundungszinsen zur Umsatzsteuer für den Zeitraum IV/2010.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 10. Januar 2011 beim Beklagten die Stundung der am 10. Januar 2011 fälligen Umsatzsteuer-Vorauszahlung für IV/2010 in Höhe von 26.162.113,66 € bis zur Vorlage einer unterschriebenen Abtretungsanzeige, mit der das Guthaben der … (A) aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2010 in gleicher Höhe an den Kläger abgetreten werden sollte. Dem Stundungsantrag beigefügt war eine vorbereitete Abtretungsanzeige der A an das für die Besteuerung der A zuständige Finanzamt X. Mit Bescheid vom 2. März 2011 gewährte der Beklagte die beantragte Stundung unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs bis zum 14. März 2011. Am 7. März 2011 zahlte der Kläger die gestundeten Beträge an den Beklagten.
Mit Zinsbescheid vom 8. März 2011 setzte der Beklagte aufgrund der gewährten Stundung Zinsen zur Umsatzsteuer IV/2010 in Höhe von 261.621 € fest. Die Stundungszinsen wurden ausweislich der Erläuterungen zum Zinsbescheid für die Dauer der gewährten Stundung vom 11. Januar 2011 bis zum 14. März 2011 erhoben. Gegen den Zinsbescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 5. April 2011 Einspruch ein und beantragte die Herabsetzung der Zinsfestsetzung auf 130.810 €. Zur Begründung führte er aus, dass die Stundungszinsen nur für einen vollen Monat zu berechnen seien. Zugleich beantragte der Kläger den Erlass der übrigen Zinsen in Höhe von 130.811 € gemäß § 234 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Die Erhebung der Stundungszinsen sei sachlich unbillig, da den Finanzbehörden durch die im Hinblick auf die Abtretung des Umsatzsteuer-Vergütungsanspruchs durch die A erfolgte Verrechnungsstundung kein finanzieller Nachteil entstanden sei.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2011 lehnte der Beklagte den beantragten Erlass der Stundungszinsen gemäß § 234 Abs. 2 AO ab. Auf die Erhebung von Stundungszinsen könne nicht verzichtet werden, da bei Erlass des Stundungsbescheides am 2. März 2011 keine Aufrechnungslage mit einem zu erwartenden Guthaben der A aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2010 vorgelegen habe, da die dem Stundungsantrag beigefügte Abtretungsanzeige nicht unterschrieben gewesen sei. Im Hinblick auf den Einspruch gegen den Zinsbescheid vom 8. März 2011 wies der Beklagte darauf hin, dass die begehrte Änderung der Zinsfestsetzung nicht erfolgen könne, da die gestundete Steuerschuld nicht gemäß Nr. 1 Abs. 2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 234 AO mehr als einen Monat vor Ablauf der Fälligkeit getilgt worden sei.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2011 beantragte der Kläger gemäß § 234 Abs. 2 AO den Verzicht auf die Erhebung von Stundungszinsen in Höhe von 76.162,14 €. Ein Zinsverzicht sei nach dieser Vorschrift geboten, wenn der gestundete Steueranspruch eine erhebliche Zeit vor Fälligkeit erfüllt werde. Die Verwaltungsanweisung in Nr. 1 Abs. 2 AEAO zu § 234 AO regele nur den Verzicht für den Fall, dass der gestundete Betrag mehr als einen Monat vor Fälligkeit getilgt werde; hieraus lasse sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in allen anderen Fällen vorzeitiger Tilgung ein Zinsverzicht generell ausgeschlossen sei. Im Streitfall sei die vorzeitige Zahlung des gestundeten Betrags aufgrund der Höhe des Stundungsbetrags und des auf sechs Tage entfallenden Zinsverlusts eine erhebliche Zeit vor Fälligkeit erfolgt. Der Beklagte behandelte das Schreiben vom 30. Mai 2011 als Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses der Stundungszinsen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 1. November 2011 wies der Beklagte die Einsprüche gegen den Zinsbescheid vom 8. März 2011 und gegen den Bescheid über die Ablehnung des Erlasses der Stundungszinsen vom 20. Mai 2011 als unbegründet zurück. Nach der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift in Nr. 1 Abs. 2 AEAO zu § 234 AO führe nicht jede vorzeitige Tilgung automatisch zu einem Zinserlass; ein Erlass sei nach der Ermessensvorschrift in § 234 Abs. 2 AO erst dann zu gewähren, wenn der gestundete Anspruch mehr als einen Monat vor Fälligkeit entrichtet werde. Die ermessenslenkende Verwaltungsvorsc...