Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblichkeit des Wohnorts des Leistungsempfängers für den Kindergeldanspruch eines Alg II - Beziehers
Leitsatz (amtlich)
Die Zahlung von Alg II nach dem SGB II stellt, da diese an die Hilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers und nicht an eine vorherige Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit anknüpft, grundsätzlich keinen einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gleichstehenden Tatbestand nach Art. 11 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 883/2004 dar. Der Erhalt von Leistungen nach SGB II erfüllt auch nicht den Tatbestand der "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" im Sinne des Art. 11 Abs. 3 Buchst. c) VO (EG) Nr. 883/2004. Der Kindergeldanspruch eines Alg II - Beziehers wird daher in der Regel nicht durch eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 68 Abs. 1 Buchst. a) der VO (EG) Nr. 883/2004, sondern durch den Wohnort des Leistungsempfängers im Sinne der Art. 11 Abs. 3 Buchst. e), 68 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. iii) VO (EG) Nr. 883/2004 ausgelöst.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 32 Abs. 1, 3, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 3; EGVO-883/2004 Art. 2 Abs. 1, Art. 3, 11 Abs. 1-3, 3a, 3c, 3e, Art. 65, 68 Abs. 1a, 2 Sätze 1-3
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Familienkasse für den Zeitraum von März 2013 bis Mai 2014 für sein Kind Differenzkindergeld unter Berücksichtigung von bereits in England für das Kind gezahlten Familienleistungen.
Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger, ist seit dem Jahr 2000 verheiratet. Aus der Ehe ist das am 7. Juni 2001 geborene Kind K hervorgegangen, für das der Kläger Differenzkindergeld mit der vorliegenden Klage begehrt. Die Ehefrau des Klägers besaß im Streitzeitraum nach den Angaben des Klägers für England und Wales eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.
Der Kläger lebte zunächst nach seiner Eheschließung mit seiner Ehefrau und seiner Familie in London/Großbritannien. Nach eigenem Vorbringen begab er sich bereits im Jahr 2012 nach Deutschland, um hier im Hinblick auf die schwierige wirtschaftliche Lage in England eine berufliche Anstellung zu finden. Nach seinen Angaben wohnte er zunächst bei seinen Eltern, fand aber keine Beschäftigung.
Jedenfalls ab März 2013 unterhielt der Kläger in A einen eigenen Wohnsitz in Deutschland. Ausweislich des Mietvertrages begann das Mietverhältnis am 15. März 2013. Der Kläger bezog die angemieteten Räumlichkeiten in A gemeinsam mit Frau B. Ebenfalls im März 2013 meldete der Kläger bei dem örtlichen Einwohnermeldeamt in A einen Wohnsitz an.
Im Zeitraum vom 01. April 2013 bis 30. Mai 2014 bezog der Kläger vom Jobcenter des Kreises Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Seit dem 2. Juni 2014 geht der Kläger einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nach.
Im Streitzeitraum März 2013 bis Mai 2014 lebte die Tochter des Klägers K bei ihrer Mutter in London. Für das Kind erhielt die Mutter im Streitzeitraum in Großbritannien monatliche Familienleistungen:
Die Ehefrau des Klägers war im hier in Rede stehenden Zeitraum - seit dem 01. Mai 2010 - arbeitslos. Erst im Jahr 2015 erhielt sie in London eine Anstellung als Reinigungskraft für sechs Stunden pro Woche.
Der Kläger beantragte mit Antrag vom 22. Juni 2014 bei der Agentur für Arbeit deutsches Kindergeld für seine Tochter K. Er wohne und arbeite schon seit mehreren Jahren in Deutschland und beantrage für die zurückliegenden 5 Jahre Kindergeld.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2014 lehnte die Familienkasse den Antrag des Klägers auf Kindergeld für das Kind K ab dem Monat Januar 2010 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass mit Schreiben vom 18. August 2014 darum gebeten worden sei, eine Familienstandsbescheinigung, den Nachweis der Steuerpflicht von 2010 bis 2014 vom zuständigen Finanzamt, den Nachweis über den Wohnsitz in Deutschland für 2010 bis Februar 2013 sowie den Nachweis über die Familienleistungen im Ausland zu erbringen. Diese Unterlagen seien nicht eingereicht worden, so dass nicht festgestellt werden könne, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Hiergegen legte der Kläger am 14. November 2014 Einspruch ein. Er habe die Child Benefit Agency mit der Bitte angeschrieben, den Nachweis über die Familienleistungen in Großbritannien auszustellen. Nachdem zunächst keine Antwort erfolgt sei, habe seine Frau ein Schreiben erhalten, dass kein Kindergeld in England mehr an seine Frau gezahlt werde, da er in Deutschland Arbeit gefunden habe. Daher müsse das Kindergeld in Deutschland beantragt werden. In Deutschland könne er aber erst Kindergeld beantragen, wenn er das Schreiben von der Child Benefit Agency erhalten habe. Man könne die Tochter nicht für diese bürokratischen Regelungen in der Europäischen Union bestrafen.
Im Laufe des Verfahrens erging zunächst eine Einspruchsentscheidung der Familienkasse X vom 10. Dezember 2014, mit der der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wurde. Diese Einspruchsentscheidung ist im Hinblick auf die Unzuständigkeit der Familienkasse X jedoch aufge...