Leitsatz
1. Eine Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG liegt nicht vor, wenn sich einem Steuerpflichtigen überhaupt erst nach Einreichung der Bilanz die Möglichkeit eröffnet hatte, erstmalig sein Wahlrecht, hier i.S.d. § 6b Abs. 1 oder Abs. 3 EStG, auszuüben (Anschluss an Senatsbeschluss vom 25.1.2006, IV R 14/04, BFH-PR 2006, 228).
2. Beruhte die bisher fehlende Ausübung des Wahlrechts jedoch auf einem zumindest fahrlässigen Verhalten, z.B. dem Nichterfassen des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns, so ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG grundsätzlich eröffnet.
3. Der Umfang der Bilanzänderung ist auf den Gewinnanteil beschränkt, der sich im jeweiligen Wirtschaftsjahr aus der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt.
Normenkette
§ 4 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Ein Landwirt hatte ein Betriebsgrundstück im Frühjahr 1995 verkauft und im Mai 1995 den Kaufpreis erhalten, obwohl der wirtschaftliche Übergang erst am 1.7.1995 stattfinden sollte. Der Kaufpreis war auf ein privates Konto gezahlt worden. Bei Aufstellung der Bilanz auf den 30.6.1995 wurde der gesamte Vorgang nicht berücksichtigt; das Grundstück wurde auch im Folgejahr weiter bilanziert.
Nach einer Betriebsprüfung erhöhte das FA den Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1995/1996 um den Gewinn aus dem Grundstücksverkauf. Der Landwirt beantragte daraufhin die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG. Diesen Antrag lehnte das FA ab.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung des FG im Ergebnis. Es liege eine Gewinn erhöhende Bilanzberichtigung vor, die durch eine Bilanzänderung kompensiert werden könne. Zwar habe der Landwirt sein Wahlrecht erstmals nach der Betriebsprüfung ausgeübt. Dies beruhe aber auf einem schuldhaften Verhalten und sei deshalb einer Wahlrechtsänderung gleichzustellen.
Hinweis
1. Bilanzänderungen dürfen wegen des im Jahr 1999 eingefügten § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur noch unter engen Voraussetzungen vorgenommen werden. Als Bilanzänderung bezeichnet man die Ersetzung eines zulässigen Bilanzansatzes durch einen anderen zulässigen Ansatz und begrenzt damit die Ausübung von Bilanzierungswahlrechten. Eine Bilanzänderung setzt danach an sich voraus, dass das Wahlrecht bereits einmal wirksam ausgeübt worden ist. Deshalb hat der BFH auch entschieden, dass die Aufstellung einer das FA nicht bindenden Bilanz ("Nicht-Bilanz") keine Wahlrechtsausübung beinhaltet (BFH, Urteil vom 25.1.2006, IV R 14/04, BFH-PR 2006, 228).
2. Der Besprechungsfall bricht aus diesem logischen Gerüst aus, indem er die Sperre des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ausnahmsweise auch bei Nichtausübung des Wahlrechts eingreifen lässt. Dies soll in Fällen gelten, in denen der Steuerpflichtige wegen schuldhaften Verhaltens, also fahrlässig oder vorsätzlich, nicht zur Ausübung des Wahlrechts kommen konnte. Wer also einen Gewinn schuldhaft nicht ausweist, der in eine 6b-Rücklage eingestellt werden könnte, darf bei Entdeckung dieses Fehlers eine Rücklage nur zur Kompensation einer Bilanzberichtigung vornehmen. Diese Voraussetzungen werden allerdings i.d.R. vorliegen, weil die Erfassung des Gewinns eine Bilanzberichtigung darstellen wird.
Im Besprechungsfall hatte das FA gemeint, die Bilanzberichtigung betreffe im streitigen Wirtschaftsjahr 2005/2006 nur die Ausbuchung des Grundstücks. Dabei hatte es übersehen, dass die Vorauszahlung des Kaufpreises auch die Bildung eines passiven Bilanzpostens erfordert hätte, der dann ebenfalls auszubuchen war, sodass der Gewinn erhöhende Differenzbetrag mit der Rücklage kompensiert werden konnte.
3. Missverständlich heißt es in dem Urteil, der Steuerpflichtige habe selbst keine berichtigte und geänderte Bilanz abgeben müssen, weil das Urteil eine solche Bilanz schaffe. Hiermit soll nicht der Grundsatz aufgegeben werden, dass nur der Steuerpflichtige selbst seine Bilanz berichtigen oder ändern kann. An dieser im Urteil vom 4.11.1999, IV R 70/98 (BStBl II 2000, 129) getroffenen Entscheidung hält der BFH fest, wie sich aus dem hiesigen Zitat der Entscheidung ergibt.
Nimmt der Steuerpflichtige eine erforderliche Bilanzberichtigung nicht vor, kann seine Bilanz der Besteuerung insoweit allerdings nicht zugrunde gelegt werden. So lange Streit über die Erforderlichkeit der Berichtigung besteht, kann der Steuerpflichtige von seiner Warte aus auch keine Änderung von Bilanzierungswahlrechten zur Kompensation vornehmen. Die geänderte Wahlrechtsausübung wird vielmehr nur hilfsweise geltend gemacht und bedarf deshalb – ausnahmsweise – nicht der Vorlage einer betreffenden Bilanz.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.9.2006, IV R 7/06