Rz. 154
Das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten – nunmehr ordnungsgemäßen – Rechnung i. S. d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG kann grundsätzlich auch für den Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.
Diese steuerliche Rückwirkung einer berichtigten Rechnung auf den Zeitpunkt des ursprünglichen Rechnungserhalts war in Vergangenheit umstritten. Die Finanzverwaltung und ihr folgende auch die finanzgerichtliche Praxis erkannten einen Vorsteuerabzug erst ab dem Zeitpunkt der Erteilung der berichtigten Rechnung an. Hatte der Unternehmer den Vorsteuerabzug aber bereits aufgrund der erstmaligen – fehlerbehafteten – Rechnungserteilung in Anspruch genommen, ergab sich für ihn deshalb ein erheblicher Zinsschaden in Gestalt von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO. In 2 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatte bereits der BFH ernstliche Zweifel daran geäußert, ob der Vorsteuerabzug aus einer zunächst fehlerhaften Rechnung auch dann versagt werden kann, wenn diese Rechnung später berichtigt wird, sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt, gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer) an eine Rechnung erfüllt. Auf den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG v. 3.7.2014 hat der EuGH dann entschieden, dass das Vorliegen einer Rechnung für den Vorsteuerabzug nur eine formelle Voraussetzung ist und daher eine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung für den Vorsteuerabzug möglich ist. Die Verzinsung nach § 233a AO sei eine unangemessene Belastung des Unternehmers und stehe daher im Widerspruch zum Neutralitätsgrundsatz.
Allerdings hält der EuGH demgegenüber andere Sanktionen als die Verzinsung für zulässig, wenn aus unvollständigen oder unrichtigen Rechnungen der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird. Denn die Mitgliedstaaten sind nach Art. 273 MwStSystRL befugt, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrecht vorzusehen. In Betracht käme insoweit die Auferlegung einer Geldbuße oder eine finanzielle Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher entsprechende Rechtsgrundlagen aber nicht normiert. Solange dies nicht der Fall ist, ist die Verwaltung auch nicht befugt, selbst Sanktionen anzuordnen.
Rz. 155
Der EuGH hat sich in der Rechtssache Senatex allerdings nicht zu der Frage geäußert, welche Mindestanforderungen erfüllt sein müssen, damit eine Rechnung überhaupt mit Rückwirkung berichtigt werden kann. Im Streitfall mangelte es den zunächst ausgestellten Rechnungen lediglich an der Angabe nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG (USt-IdNr. oder Steuernummer des leistenden Unternehmers). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Dokument jedenfalls dann erst eine berichtigungsfähige Rechnung, wenn es Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Hierfür reicht es aus, dass sie diesbezügliche Angaben enthält und diese Angaben nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sind, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. Eine Rückwirkung ist daher ausgeschlossen, wenn erstmals nach der Berichtigung diese Mindestanforderungen erfüllt werden. Insoweit handelt es sich gar nicht um eine Rechnungsberichtigung, sondern um die Ausstellung einer sog. Erstrechnung, die ihrerseits erstmals zum Vorsteuerabzug berechtigt. Soweit der Vorsteuerabzug aber erst in dem Besteuerungszeitraum geltend gemacht werden darf, in dem einerseits die bezogene Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt worden ist und andererseits der Leistungsempfänger auch im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist, kann die Vorsteuer aus einer solchen Erstrechnung auch erst im Zeitpunkt dessen Erteilung vom vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger abgezogen werden. Daher führt nur die Berichtigung einer falschen Angabe oder die Ergänzung einer nicht unter die Mindestangaben fallenden Rechnungsangabe zu einem rückwirkenden Vorsteuerabzug. Rechnungen, die an den falschen Empfänger oder durch den falschen Leistenden ausgestellt wurden, sind daher nicht mit steuerlicher Rückwirkung berichtigungsfähig.
Die Leistungsbeschreibung muss, um rückwirkend berichtigungsfähig zu sein, jedenfalls so konkret bezeichnet sein, dass die erbrachte Leistung und ein Bezug zum Unternehmen des Leistungsempfängers erkennbar sind. Daher dürften sowohl eine unrichtige als auch eine ungenaue Leistungsbeschreibung ohne konkreten Bezug zum Leistungsempfänger (z. B. Beratungsleistungen u.ä) nicht die Voraussetzungen für eine rückwirkende berichtigungsfähige Mindestangabe erfüllen.
Rz. 156
Demgegenüber kann nach Verwaltungsauffassung bei einem zu niedrigen Steuerausweis in der ursprünglichen Rechnung das Recht auf Vorsteuerabzug in Höhe der Differenz zw...