Rz. 17
Den Rechnungen mit offenem Ausweis von Umsatzsteuer kommt im System der sog. Netto-Allphasen-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug eine besondere – unverzichtbare – Bedeutung zu, weil der Unternehmer gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG nur die in einer Rechnung oder Gutschrift i. S. d. § 14 UStG gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer von seiner Steuerschuld abziehen darf. Die Ausübung des Vorsteuerabzugsrecht des unternehmerischen – vorsteuerabzugsberechtigten – Leistungsempfängers gewährleistet erst die Neutralität der Mehrwertsteuer im zwischenunternehmerischen Bereich. Rechnungen und Gutschriften haben daher (teilweise) für den Vorsteuerabzug eine konstitutive Bedeutung. Durch sie wird erklärt, dass der leistende Unternehmer die ausgewiesene Umsatzsteuer an das FA abzuführen hat und zugleich ein Anspruch des Leistungsempfängers gegen das für ihn zuständige FA begründet, diese Steuer als Vorsteuer von seiner Steuerschuld abzuziehen.
Rz. 18
Insbesondere in den Fällen der Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG hat ein Abrechnungspapier jedenfalls in konstitutiver Hinsicht an Bedeutung verloren, da in diesen Fällen der Leistungsempfänger gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG für seinen Vorsteuerabzug grundsätzlich keine Rechnung benötigt. Dasselbe gilt für den Vorsteuerabzug der Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb. Insoweit sind aber ggf. die zusätzlichen Pflichten bei der Ausstellung von Rechnungen nach § 14a UStG zu beachten. Dennoch ermöglicht bzw. erleichtert es die Erteilung einer Rechnung unter Beachtung der Rechnungsvorschriften – neben der Kontrollfunktion für die zutreffende Erhebung der Umsatzsteuer durch die Finanzverwaltung – sowohl beim Leistenden als auch beim Leistungsempfänger die Beachtung der Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG. Zur Aufbewahrungspflicht für Rechnungen wird auf die Erläuterungen zu § 14b UStG verwiesen.
Rz. 19
Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Vadan verstößt die strikte Anwendung des formellen Erfordernisses, Rechnungen vorzulegen, gegen den Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit, da dadurch dem Steuerpflichtigen auf unverhältnismäßige Weise die steuerliche Neutralität seiner Umsätze verwehrt würde. Der Gerichtshof hat zuvor bereits in der Rechtssache Barlis 06 entschieden, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Voraussetzungen nicht genügt hat. Daraus folgt dann aber auch, dass die Finanzverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern kann, weil eine Rechnung nicht die Voraussetzungen an bestimmte Pflichtangaben i. S. d. § 14 Abs. 4 UStG erfüllt, wenn sie gleichwohl über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Steuerpflichtige muss also durch objektive Nachweise belegen, dass ihm andere Steuerpflichtige auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert bzw. erbracht haben, die seinen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätzen dienten und für die er die Mehrwertsteuer tatsächlich entrichtet hat. Die Entscheidung in der Rechtssache Vadan erklärt aber nur auf den ersten Blick eine Rechnung in der Zukunft für den Vorsteuerabzug für unbeachtlich, denn auf den zweiten Blick betrifft diese Entscheidung nur den Nachweis einer bereits erteilten Rechnung. Über die Entbehrlichkeit einer Rechnung oder bestimmter Rechnungsinhalte sagt diese Entscheidung nichts aus. Viel- mehr bestätigt sie die Bedeutung einer Rechnung oder anderer Abrechnungsunterlagen für das Recht auf Vorsteuerabzug. Dementsprechend hat der EuGH in einem Verfahren über ein Vorsteuererstattungsbegehren auch entschieden, dass ein Dokument keine Rechnung i. S. d. MwStSystRL ist, wenn es so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen. Es sei dem vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger also weiter dringend geraten, sich immer sorgfältig um ordnungsgemäße Rechnungen zu bemühen.
Rz. 20 einstweilen frei